Montag, 13. Juli 2015

Neue Farben

Pullach hat neue Farben bekommen. Man findet sie überall: auf Parkbänken, auf der Straße, auf dem Fußballplatz, an der Isar und zuletzt auch auf der Sonnwendfeier.
100 Flüchtlinge aus 13 Nationen leben seit Pfingsten im Herzen unserer gepflegten, wohl situierten Gemeinde.
Ein ungewohntes Bild ist das. Gewöhnungsbedürftig.
Meinen Mann und mich trieb vor etwa 3 Wochen die Neugierde: Was sind das für Menschen? Können wir uns dorthin wagen? Halten wir so viel Fremdheit aus?
Wir haben uns getraut – und ...
waren überwältigt. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie viele Hände ich schon bei unserem ersten Besuch geschüttelt habe. Sehr viel Herzlichkeit schlug uns da entgegen, ebenfalls Neugierde und Dankbarkeit für die Begegnung.
Aber zugleich war auch eine tiefe Bedrücktheit zu spüren. In den Gesichtern konnte man vieles von dem Elend lesen, das sich wohl auf der Flucht und in der Notzeit davor eingeprägt hat. „I need help.“
Ja, so ist es. Diese zumeist sehr jungen Männer haben nichts als ihr Leben und eine kleine Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Abgeschnitten von ihrer Familie und ihren sozialen Bezügen in der Heimat sind sie hier in einer fremden Welt gelandet, in der sie sich völlig verloren fühlen und die ihnen den Zugang verweigert. Denn wie soll man auch verstehen können, dass in Deutschland die Garagen für die Autos größer und besser sind als in der Heimat die Häuser für eine Großfamilie? Dass sich hier das Leben hauptsächlich hinter Hecken und Mauern abspielt? Dass die Menschen in Autos vorbeifahren und einem kaum Beachtung schenken? Dass es hier selbst im Sommer bitter kalt sein kann?
Uns hat diese erste Begegnung nicht mehr losgelassen. Seither nutzen wir jede freie Minute, um bei „unseren“ Flüchtlingen vorbeizuschauen. Wir geben Deutschunterricht, bieten kleine Unternehmungen an, beantworten Fragen und vor allem: Wir zeigen uns dort, hören zu, spenden ein freundliches Wort.
Ja, das ist zeitaufwendig. Aber wir bekommen sehr viel zurück. Diese Menschen sind eine Bereicherung. Sie haben eine Fülle an elementaren Erfahrungen mitgebracht, die uns hier völlig unbekannt sind. Aber sie fühlen wie wir und denken kaum anders als wir. Ich spüre eine erstaunliche Herzensbildung und Menschlichkeit und erlebe das als großes Geschenk. Es ist nicht schwer, mit ihnen zu kommunizieren. Viele sprechen gut englisch oder französisch, manche auch italienisch. Aber es reicht meist ein freundlicher Satz auf Deutsch, um eine Brücke zu bauen.
Wir haben gerade eine große Chance, in unserem Pullach Menschlichkeit zu zeigen und zu erleben. Denn in diesem Sommer ist hier die Welt zu Hause. Wenn wir uns ihr öffnen, dann machen wir sie ein wenig besser und bringen neue Farbe in unser Leben.
Schauen auch Sie vorbei, wagen Sie es! Bauen Sie Brücken! Sie werden reich belohnt werden.

Geschrieben am Weltflüchtlingstag, 20.Juni 2015
von Hedwig Rost

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