Ich staune, wie aufnahmefähig die meisten sind. Lauter
wache Augen schauen mich an. Es gibt immer viele Fragen, und daraus spinne ich
den Faden für den Unterricht. Alle schreiben eifrig mit.
Dieses Mal habe ich ein Arbeitsblatt vorbereitet mit
Fragewörtern. Denn ich denke, es schadet nicht, wenn sie auf Fragen bei ihrer
Anhörung ein wenig auf Deutsch antworten können. „Warum seid ihr nach
Deutschland gekommen?“
Mit einem Mal verdunkeln sich die Mienen...
Warum ich das wissen will, werde ich gefragt.
Es interessiert mich einfach, und ich möchte die
Motive dieser jungen Männer verstehen, die für eine bessere Zukunft den Horror
der Flucht auf sich genommen und ihr Leben riskiert haben.
„Weil die Probleme in der Heimat zu groß waren.“ „Ohne
Arbeit gab es kein Leben.“
Ich frage nach und erfahre: zwei Maurer sind darunter,
ein Bäcker, ein Schneider, ein Mechaniker. Ehrbares Handwerk also. Und zwei
Studenten.
Mir liegt auf der Zunge, zu sagen: Man wird euch in
Deutschland nicht haben wollen. Es lohnt sich nicht einmal, deutsch zu lernen.
Denn der Senegal gilt als „sicheres Herkunftsland“. In Mali herrscht zwar ein
blutiger Bürgerkrieg, aber ob das für ein Bleiberecht ausreicht? Ihr werdet
hier als „Wirtschaftsflüchtlinge“ angesehen, die nur von unseren
Wohlstandssegnungen schmarotzen wollen. Armut ist keine anerkannte
Fluchtursache. Und schließlich können wir ja nicht alle aufnehmen.
Ich verkneife es mir. Es tut mir weh.
Und ich habe einen Traum: Was wäre, wenn wir diesen
hoch motivierten und intelligenten jungen Menschen eine Zusatzausbildung nach
europäischem Standard und Arbeitserfahrung ermöglichen würden? Was, wenn die
Studenten ihr Studium hier fortsetzen könnten? Wird nicht oft über
Fachkräftemangel geklagt, gerade im Handwerk? Was wäre möglich, wenn diese gut
ausgebildeten Afrikaner ihr europäisches Knowhow in die Heimat zurücktragen und
dort helfen würden, ein entwickeltes und modernes Afrika aufzubauen? Kann es
eine effektivere Entwicklungshilfe und Fluchtprävention geben?
Noch scheint die Gesetzeslage eindeutig: Wer nicht vor
Krieg und Verfolgung geflohen ist, wird abgeschoben. In einiger Zeit werden
diese jungen Männer mit all ihrem Potenzial in Abschiebehaft sitzen. Wer arm
ist, fliegt raus. Geschlossene Gesellschaft in Deutschland und Europa?
Nein, es gibt neue Perspektiven. Das Bundesamt für
Migration und die Bundesagentur für Arbeit haben im letzten Sommer ein
Pilotprogramm gestartet, das in neun deutschen Städten, darunter in Augsburg,
etwas Neues versucht und vielleicht zu einer Wende in der Migrationspolitik
führen könnte: „Early Intervention“ spricht Asylbewerber schon kurz nach ihrer
Ankunft an, fördert sie z.B. durch Deutschunterricht und erleichtert ihnen die
Aufnahme einer Beschäftigung. Frühzeitig werden motivierte und qualifizierte
Menschen erfasst, wodurch sich viele Probleme entscheidend verbessern lassen.
„Unsere“ Jungs hier in Pullach werden nicht mehr in
den Genuss möglicher Neuregelungen kommen. Denn die Mühlen mahlen langsam, und
jede Veränderung braucht Zeit. Immerhin
bekommen sie – Stichwort ‚Willkommenskultur’ – schon
ein wenig von dem gesellschaftlichen Wandel zu spüren, der solchen gesetzlichen
Maßnahmen zugrunde liegt.
In einem Dokument der Vereinten Nationen, dem United
Nations Development Programme, heißt es im „Bericht über die menschliche
Entwicklung 2009“: Die Möglichkeit, darüber zu entscheiden,
wo man leben will, ist ein wesentliches Element menschlicher Freiheit.
Bis diese Möglichkeit nicht nur den Angehörigen der
reichen Industrienationen zusteht, ist es noch ein weiter Weg.
Hedwig Rost
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