Seit 2 Monaten sind die Pullacher Flüchtlinge in mein Leben
getreten. So fühlt es sich für mich an. Ich biete meine Dienste an mit
Deutschunterricht und Begleitung bei wichtigen Terminen. Darüber hinaus aber
vertrauen mir mehr und mehr dieser hier gestrandeten jungen Menschen ihre
Lebensgeschichte an. Das ist meistens tief erschütternd, aber gleichzeitig
beglückend, weil ich mich daran freue, wie mit wachsendem Vertrauen die
Traurigkeit und Verlorenheit aus vielen der Gesichter weicht. Ich kann sagen,
dass mit vielen inzwischen eine tiefe Verbindung entstanden ist.
Kürzlich gelang es mir, zweien meiner besonderen
„Schützlinge“ aus Westafrika einen großen Wunsch zu erfüllen: Meine 19jährige
Tochter und ich nahmen sie mit aufs Land und an den Starnberger See.
Es ist einer der heißesten Tage dieses Sommers. In
Holzhausen zeige ich ihnen das wundervolle Wallfahrtskirchlein und hoffe, dass
der Ort für sich selbst spricht. Lange sitzen wir in dem bäuerlich naiv
gestalteten Kirchenraum, genießen die Kühle und Stille und kommen ins Gespräch.
Die beiden sind Muslime. Wir betrachten geflügelte Engel und eine Madonna und
es gelingt mir, ein paar der dargestellten biblischen Geschichten zu erklären.
Glücklicherweise kenne ich einige Berührungspunkte zwischen Koran und Bibel.
Dies alles ist neu und fremd für die beiden jungen Männer, die soeben den
Ramadan hinter sich gebracht haben. Sie staunen über die Darstellung Gottes als
alten Mann und wir kommen ins Philosophieren. Wie kann man sich Gott vorstellen
– und darf man das überhaupt? „Gott ist in allem“, sagt einer. „Ja“, denke ich,
„wenn man ihn hereinlässt.“
Hoch zufrieden fahren wir an den Strand. Zum Glück ist das
Wasser warm genug für die beiden Afrikaner. Während die „Jugend“ sich nun schon
fröhlich im See vergnügt, komme ich, bis zu den Knien im Wasser stehend, mit
einer Frau ins Gespräch, die mich fragt, ob das denn Flüchtlinge seien und mit
welcher Motivation ich mich mit ihnen abgebe. „Meine Eltern waren auch
Flüchtlinge“, sagt sie, „Sudetendeutsche. Deshalb hat mich dieses Thema
geprägt. Aber ich finde es nicht gut, wenn nun wieder so viele traumatisierte
Menschen hier ankommen. Lieber soll man dafür sorgen, dass die Meere vor der
westafrikanischen Küste nicht von europäischen und kanadischen Fangflotten leer
gefischt werden und dass der Klimawandel die Verwüstung in Afrika nicht
fortschreiten lässt“. Wie recht sie hat! Sie beginnt, mir sehr sympathisch zu
werden. „Aber bis dahin“, wende ich ein, „betrachte ich es als unsere Aufgabe
als Mitverursacher der Flüchtlingsströme, die Menschen, die bei uns Zukunft
suchen, aufzunehmen.“ Plötzlich verfinstert sich meine Gesprächspartnerin. „Ja,
aber… Sie sind so fremd. In der Nachbarschaft meiner Eltern wohnen jetzt
Flüchtlinge. Das ist unzumutbar und eine Wertminderung ihres Hauses.“ Daher
weht also der Wind? Ich merke, wie ich wütend werde. „Wenn Sie so denken,
möchte ich das Gespräch nicht fortsetzen“, sage ich und gehe schwimmen.
Nun mache ich mit den jungen Leuten Picknick am Strand. Wir
spielen zusammen afrikanische Spiele mit Steinchen und Blättern. Was für eine
Freude für alle! Meine Gesprächspartnerin lagert in der Nähe und „linst“ immer
wieder zu uns herüber. Als die Sonne sich senkt, machen wir ein paar Fotos im
Abendlicht. Da steht sie auf und bietet sich als Fotografin an. „Ich war sehr
skeptisch am Anfang“, gesteht sie mir, „aber die beiden sind ja derartig nett!
Sie haben völlig recht: Persönliche Begegnung ändert alles. Nun habe ich
richtig Lust, zu helfen.“ Es stellt sich heraus, dass sie aus Grünwald kommt.
Wir tauschen Adressen aus und sind seither in regem Mail-Wechsel. Sie bemüht
sich, Arbeitsmöglichkeiten zu finden, wenn die Sperrfrist abgelaufen ist, und
Kontakte zu ihren Freunden herzustellen.
Ich spüre deutlich: Das ist kein Mitleid mit den „armen“
Flüchtlingen, was sie antreibt, sondern Freude an der Begegnung mit diesen
Menschen aus einer anderen Welt.
Alle haben an diesem Tag gewonnen: die beiden Jungs aus
Afrika, meine Tochter und ich und unsere neue Freundin aus Grünwald. Plötzlich
denke ich an unser Gespräch im Holzhausener Kirchlein zurück. Ja, wir haben uns
gegenseitig Einlass gewährt – eine Win-Win-Situation könnte man das nennen.
Die Bundesregierung diskutiert über ein neues
Einwanderungsgesetz. Justizminister Heiko Maas sagte dabei: „Flüchtlinge können
ein Gewinn sein.“
Damit mag vor allem der ökonomische Aspekt gemeint sein. Ich
möchte aber annehmen, dass alle Pullacherinnen und Pullacher, die sich für
unsere Flüchtlinge engagieren, dies auch im Blick auf die zwischenmenschlichen
Begegnungen bestätigen werden.
Was wäre alles gewonnen, würden wir diesen offenen,
freundlichen und motivierten Menschen in unserem Land Einlass gewähren!
Hedwig Rost
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