Samstag, 26. September 2015

Verstopfung

Langsam reichts. Jetzt wird man als Mitglied des Helferkreises schon darum gebeten, sich am Freitagabend noch um die verstopften Toiletten 'im Camp' (der als Notaufnahmelager eingerichteten Turnhalle) zu kümmern. Lohnt es sich überhaupt noch, da etwas zu reparieren? - wird man gefragt. Soll das Camp nicht ohnehin nach dem Wochenende geräumt werden? Keiner weiß Genaueres, und die Flüchtlinge dürfen sich als Verschub-Masse fühlen. Menschenwürde sieht anders aus.
Verstopfte Toiletten - niemand will sich die Finger schmutzig machen. Es ist leichter, mit sauberen Fingern auf die Flüchtlinge zu zeigen: 'Warum lassen die auch die Toiletten so verkommen?' Kein Gedanke daran, wie es z.B auf dem Zeltplatz Thalkirchen nach zwei Wochen Oktoberfest aussieht. Kein Gedanke daran, wie ganz normale Schultoiletten aussähen, wenn sie nicht regelmäßig gereinigt würden.
Die Flüchtlinge sind sich selbst überlassen. Es gibt zwar immer noch Helfer, die sich um Flüchtlinge kümmern, aber im Hinblick auf die ungewisse Zukunft des Camps und die vielen Widerstände (s. Blogpost 'Stoßseufzer') und Rückschläge gehen die Kräfte allmählich zuende. Und dann erfährt man noch, dass das, was in Pullach ehrenamtlich getan wird, anderswo staatlich/städtisch organisiert und finanziert stattfindet:
Es ginge doch! In Hamburg besuchen mobile Screeningteams die Camps, erfragen die persönlichen Hintergründe, Ausbildung und Berufswünsche. 'Work and Integration for refugees' (W.I.R.)   heißt das Projekt, das gleichzeitg Zugriff auf freie Arbeitsstellen (auch für Ungelernte und noch nicht Deutsch-Sprechende) hat und Arbeitgeber mit motivierten Arbeitssuchenden zusammenbringt. Dort wird als hoheitliche Aufgabe verstanden, was hier mit großem Zeitaufwand ehrenamtlich unternommen wird.
Hier - so der wachsende Eindruck - herrscht Verstopfung: Wegschauen, wegducken und irgendwann wegspülen, in die (immer noch nicht fertigen?) Traglufthallen auf der anderen Seite der Isar. Und wenn die auch schon voll sind? Verschub-Masse ist ist da noch ein höflicher Ausdruck dafür, wie sich das für die Betroffenen anfühlen mag.

Dienstag, 22. September 2015

Ein Stoßseufzer

Überall wird jetzt über die Beschleunigung von Asyl-Anerkennungsverfahren diskutiert: Die Guten ins Kröpfchen ...  Dabei gibt es zur Zeit einige andere Verfahren, die beschleunigt und vereinfacht zu werden verdienen - und kaum jemand spricht darüber.

Alle Welt staunt über die Willkommenskultur hierzulande, über das breite gesellschaftliche Engagement. Dieses Engagement erschöpft sich nicht in der Erstversorung ankommender Flüchtlinge am Ankunftsbahnhof. Es geht inzwischen weit darüber hinaus - und da wird es wirklich erschöpfend.
Wer jemals versucht hat, einem Flüchtling eine bezahlte Arbeit zu vermitteln, der weiß ein Lied davon zu singen: Alle erforderlichen Papiere und Stempel sind da, die Berechtigung zur Annahme bezahlter Arbeit, ein Arbeitsplatz samt Arbeitsvertrag unter Berücksichtigung des gesetzlichen Mindestlohns, der Antrag auf Vornahme der Nachrangigkeitsprüfung durch das BfA (die Prüfung, ob der Arbeitsplatz durch Deutsche bzw. EU-Bürger besetzt werden kann) - und trotzdem dauert es noch Ewigkeiten, bis der Flüchtling die Arbeit wirklich antreten kann. X verschiedene Stellen sind hier beteiligt - für die Zuteilung der Steuernummer, die Prüfung, ob die vergünstigte Fahrkarte weiterhin in Anspruch genommen werden kann, den Nachweis einer Krankenversicherung ... Und wie viel wird vom Arbeitslohn einbehalten? Auch die bestwilligen Arbeitgeber warten und warten und raufen sich die Haare. Vom betroffenen Flüchtling ganz zu schweigen.
All diese Hürden machen letztlich Schwarzarbeit attraktiv. So wichtig die Formulare sein mögen - ohne Deutschkenntnisse versteht sie keiner. So kompetent die einzelnen Behörden einschließlich der Beratungsstellen auch sein mögen - als Helfer läuft man sich auf dem Weg von A nach B nach C nach A nach D nach B buchstäblich die Hacken ab. Es ist ein Full-Time-Job, auch nur einen einzigen Flüchtling in Lohn und Brot zu bringen! Ihn von staatlicher Fürsorge tendenziell unabhängig zu machen - das wäre doch im Grunde erstrebenswert.
Oder hat jemand schon einmal versucht, einen Flüchtling privat unterzubringen - womöglich in München (bei Residenzpflicht im Landkreis)?? Angeblich geht das alles, irgendwie und irgendwann, aber wieviel Zeit und Nerven kostet das! Auch die motiviertesten Helfer stoßen da an ihre Grenzen, und schon wird allenthalben über 'das Ende der Euphorie' spekuliert.
Aber woher kommt diese  Erschöpfung? Es kann doch nicht so schwer sein, Informationsblätter herauszugeben bzw. ins Internet zu stellen, was alles an Formularen erforderlich ist, wo man sie bekommt und wo sie abzugeben sind! Ganz zu schweigen von einer Verfahrensbeschleunigung bei Arbeits- und Wohnungssuche - wenn es denn politisch gewollt wäre!
Das derzeitige ehrenamtliche Engagement ist eine ungeheure zivilgesellschaftliche Ressource, die aktuell verschleudert zu werden droht, zermahlen in den Mühlen einer Bürokratie, die nicht auf Bürgerbeteiligung ausgerichtet ist. Wenn der Elan erlahmt, dann ist nicht 'die Flüchtlingskrise' schuld, sondern ein Verwaltungsaufwand, der wirklich hinterfragt zu werden verdient. Und der statt Verfahrensgerechtigkeit irgendwann nur noch Frustration, Desintegration und Resignation produziert.

Dienstag, 8. September 2015

Herbstanfang

Das Flüchtlingslager in der Pullacher Turnhalle wird, so war jetzt von verschiedener Seite zu hören, 'Anfang Oktober' aufgelöst. Wohin die dort untergebrachten Flüchtlinge dann kommen, war noch nicht zu erfahren. Das und die wiederholte Terminverschiebung sind natürlich belastend für alle Betroffenen. Sobald Näheres bekannt ist, wird es hier zu lesen sein.
Nachtrag:  Mittlerweile ist von 'Ende Oktober' die Rede. Es ist in der Zwischenzeit auch immer wieder vereinzelt zu Neueinweisungen gekommen - was bei vielen als Zeichen verstanden wird, dass es noch nicht so bald zu einer Verlegung kommt. Aber mehr als Gerüchte gibt es nicht.
Nach-Nachtrag:  Am 17.10. wurden die noch verbliebenen ca. 50 Flüchtlinge in die neu fertiggestellte Traglufthalle in Oberhaching verlegt.
Es schafft - nebenbei bemerkt -  ein seltsames Gefühl, jetzt die Gesichter zu verpixeln, nachdem sie über Monate hin Namen bekommen und sich mit Lebensgeschichten verbunden haben.

Sonntag, 6. September 2015

Lagerkoller

Unterwegs auf mehrtägiger Bergtour. Endlich ist die Hütte erreicht – doch Schlafplätze gibt es nur noch im Matratzenlager. Romantisch – wenigstens für eine Nacht. Keiner muss mehr Auto fahren, in der Stube fließt der Alkohol, das Schnarchkonzert gerät vielstimmig. Bei der Nachtruhe herrscht eher Gleitzeit, mancher sucht im Dunkel den Weg zur Toilette. Die ersten stehen in aller Frühe auf, und leider versteht man jedes Wort. Da ist viel Kaffee nötig, um selbst in Gang zu kommen. Bei aller Romantik: Zuhause stehen Toilette, Dusche und das eigene Bett, bald gibt es wieder ein Privatleben.
Und wenn nicht? Die Turnhalle in Pullach ist nach wie vor von Flüchtlingen belegt – unter Matratzenlagerbedingungen: 100 junge Männer auf engem Raum, seit mehr als einem Vierteljahr jetzt. Dass es im Lager weitgehend friedlich blieb, ist nicht ganz selbstverständlich. Einige dürfen inzwischen arbeiten und leiden nach einem 8-Stunden-Arbeitstag unter fehlender Nachtruhe. Immerhin haben sie tagsüber etwas zu tun. Andere haben sich in den Alkohol geflüchtet, manche sehen nach Erhalt des Abschiebungsbescheids nicht mehr ein, dass sie sich an irgendwelche Regeln halten sollen, und leider kommt es auch zu Diebstahlsfällen untereinander. Es ist ein ganz normaler Ausschnitt der Menschheit, der dort versammelt ist, es sind keine besseren und keine schlechteren Menschen als wir. Aber was täten wir unter diesen Bedingungen? 100 Tage Matratzenlager?

Willkommenskultur jedenfalls ist weit über den ersten Tag hinaus gefragt; zu einem realistischen Blick gehört auch der beständige Versuch, sich in die Lage seines Gegenübers zu versetzen. Soweit das geht. Denn die wenigsten im Lager können erzählen, was hinter ihnen liegt, auch nach 100 Tagen nicht.