In der Frühe kam die Polizei, und dann ging alles ganz schnell: Der junge Mann aus dem Senegal wurde mitgenommen und zurück nach Italien 'verbracht'. Nein, alles rechtmäßig und vom 'Dublin-Verfahren' gedeckt.
In seiner Zeit hier hatte er schon viel Deutsch gelernt und tatsächlich eine Arbeit gefunden, einen 1-Euro-Job als Küchenhelfer in der Mittagsbetreuung der örtlichen Grundschule. Kurz: Er hat sich wirklich um Integration bemüht. Die Kinder, so hört man, haben ihn geliebt, die Mitarbeiter sehr geschätzt, die Dorfbewohner freuten sich, wenn er sie auf der Straße grüßte.
Nun werden die Kinder wohl Fragen stellen: Warum ist er nicht mehr da? Und man wird ihnen erklären müssen, dass es um höhere Rechtsprinzipien geht, die im Einzelfall dann auch mal Härten mit sich bringen können. Und hoffentlich, hoffentlich verstehen die Kinder das nicht, nehmen es nicht hin! Hoffentlich haben sie in der kurzen Zeit gelernt, auf den einzelnen Menschen zu sehen, auf den biblischen Nächsten! Hoffentlich hat sie dieser kurze Kontakt ein Stück weit gegen Rassismus immunisiert, praktischer als jeder wohlgemeinte Religions- oder Ethikunterricht. Eine unschätzbar wertvolle Erfahrung.
Da läuft doch etwas falsch. Mit dem kindlichen Gerechtigkeitsemfinden lässt sich wahrscheinlich kein Rechtsstaat organisieren, aber Denkanstöße liefert es allemal. In der sorgengeprägten Diskussion darüber, wie wohl die Integration so vieler Flüchtlinge gelingen kann, drohen diejenigen aus dem Blick zu geraten, die sich oft sehr aktiv um ihre Integration bemühen - und das sind häufig die Armutsflüchtlinge, die mit den schlechtesten Bleibeaussichten. Diese Bemühungen lohnen sich nicht - das ist die unfrohe Botschaft, die durch solche Abschiebungen verbreitet wird. Dass diese Maßnahmen rechtmäßig sein mögen, macht es nicht unbedingt besser. Denn wenn es schon schwierig ist, unseren Kindern die Gründe dafür zu vermitteln - wie schwierig ist es dann, sie den Flüchtlingen zu erklären - und sie gleichzeitig aufzufordern, sich um ihre Integration zu bemühen? Von den Helfern ganz zu schweigen.
Es bleibt das ungute Gefühl, dass es hier ganz vordergründig auch um vorzeigbare Vollzugszahlen geht. Und es unterstreicht die Forderung, endlich ein Einwanderungsgesetz mit einem nachvollziehbaren Anerkennungsverfahren zu schaffen. So würden nebenbei auch die Asylverfahren entlastet, und das allemal ehrlicher als durch die neu beschlossenen 'Verfahrensoptimierungen'. Und es zeigt einmal mehr: Der Blick aus der Nähe, der unmittelbare Kontakt verengt die Perspektive nicht, er vermag sie zu erweitern. Hören wir auf unsere Kinder.
_________________________________________________________________________________
PS: Es gibt einfach zu viele von diesen Geschichten. Eine z.B. hier: Integration gelungen, Arbeitserlaubnis verweigert. (Süddeutsche Zeitung), wo man sich dann als ehrenamlicher Helfer schon mal fragen kann: Warum mache ich das eigentlich alles?
Zwischen den Zeiten. Zwischen den Zeilen. Zwischen den Konfessionen, zwischen den Stühlen und den Lagern. Zwischen Einheimischen und Flüchtlingen. Unterwegs zwischen Gott und der Welt. Zwischen Himmel und Erde, zwischen Isartal, S-Bahnschranken und der B 11. Die Nähe und in die Ferne im Blick. Eine Einladung zum Mitlesen, Mitdenken - und zum Mitschreiben: Gäste sind herzlich willkommen!
Samstag, 26. Dezember 2015
Dienstag, 1. Dezember 2015
Mitten in Pullach!?
Ein Gastbeitrag von Anke Schlee
(Mitglied im Helferkreis Flüchtlinge & Integration Pullach)
Seit Mai leben Familien mitten in Pullach, die von wahrlich weit her kommen: aus Afghanistan und Nigeria zum Beispiel. Nicht nur die Männer, die in der Turnhalle der Mittelschule lebten, waren zeitweise Pullacher, es gibt auch dezentral untergebrachte Flüchtlinge, wie es offiziell heißt. Dezentral mitten in unserer Gemeinde. Zum Beispiel leben in einem vom Landratsamt gemieteten Haus aus den 50er Jahren in drei Wohnungen 32 Menschen, davon 18 Kinder.
(Mitglied im Helferkreis Flüchtlinge & Integration Pullach)
Seit Mai leben Familien mitten in Pullach, die von wahrlich weit her kommen: aus Afghanistan und Nigeria zum Beispiel. Nicht nur die Männer, die in der Turnhalle der Mittelschule lebten, waren zeitweise Pullacher, es gibt auch dezentral untergebrachte Flüchtlinge, wie es offiziell heißt. Dezentral mitten in unserer Gemeinde. Zum Beispiel leben in einem vom Landratsamt gemieteten Haus aus den 50er Jahren in drei Wohnungen 32 Menschen, davon 18 Kinder.
Formal ist das
Landratsamt zuständig, um alles weniger Formale kümmert sich eine Koordinatorin aus dem Helferkreis Flüchtlinge & Integration
Pullach. "Mülltrennung war ein großes Problem für Afghaner und
Nigerianerinnen - völlig unverständlich für sie. Inzwischen ist das mit einem
1-Euro-Job organisiert und funktioniert", erläutert die engagierte ältere
Dame eine ihrer Aufgaben. "Letzten Samstag waren beide Toilettenspülungen
in einer Wohnung gleichzeitig ausgefallen, eine kleine Katastrophe bei 15
Personen! Gut, dass es entsprechende Telefonnummern für alle gibt, auch
meine", berichtet sie weiter.
Ein Vater, der mit zwei
seiner Kinder im Haus hier in Pullach lebt, hat seine Frau und die anderen drei
Kinder auf der Flucht verloren. Alle waren in Afghanistan gemeinsam
aufgebrochen und dann zwischen der Türkei und Griechenland getrennt worden. Mit
seinen beiden Kindern gelangte er zu Fuß von Griechenland zunächst nach
München.
Die Bilder dazu kennen
wir alle aus den Medien. Und nun sind sie hier bei uns mitten in Pullach, die
Menschen, die im Meer schwammen, die zu Fuß von Griechenland nach Deutschland
gingen, die sich durch die Erstaufnahmeeinrichtung drängten.
Die Mutter schlug sich
mit den anderen drei Kindern auch nach Deutschland durch, sie sind am Leben und
zusammen. Beim Landratsamt läuft jetzt die Familienzusammenführung, denn Mutter
und Kinder sind in Baden-Württemberg. Kein leichtes Unterfangen, aber das ist
eine andere Geschichte.
Auch auf der Flucht
verloren gegangene Familienmitglieder beim Flüchtlingsrat zu melden, gehört zur
Betreuung der Flüchtlinge. Vom Helferkreis gibt es rund
ein Dutzend Ehrenamtlicher, die sich um die Bewohner des Hauses kümmern. Ob ein
Arztbesuch ansteht, ob es um Schul- und Kindergartenbesuche oder um einen
Küchenplan geht, all das ist den neu-Pullachern so fremd. Die Mitglieder des
Helferkreises organisieren auch tägliche Hausaufgabenbetreuung für die
Schulkinder im katholischen Pfarrheim, Deutsch-Unterricht in verschiedenen
Gruppen, je nach Vorkenntnissen und Lerntempo, Ausflüge und vieles mehr.
Für drei der vier
Nigerianerinnen, die ebenfalls im Haus wohnen, brauchte es besondere
Unterstützung, denn sie haben in den vergangenen Monaten Babys bekommen. Auch
das ist nicht so einfach in einem Land mit einer vollkommen anderen Kultur und
fremden Lebensumständen.
Die ehrenamtlichen
Betreuer unterstützen ihre Schützlinge in allen Lebenslagen. Sie sorgen dafür,
dass diese Menschen mitten in Pullach leben können. Angekommen sind sie mitten im Ort, inmitten unserer Gesellschaft sind sie deshalb noch nicht. Das wird
dauern, und dafür engagieren sich alle.
Mittwoch, 18. November 2015
Krieg?
Einer der Selbstmordattentäter von Paris, Ahmed al Mohammad, soll als Flüchtling getarnt von der Türkei über Griechenland in die EU eingereist sein. Wenn sich das bestätigt - dass da jemand durch die Vortäuschung von Bedürftigkeit die Aufnahme- und Hilfsbereitschaft europäischer Staaten und Gesellschaften ausnutzt - dann wäre das auch nur ein winziges Bruchstück dessen, was der IS offenbar für legitim hält. Es schaudert einen, wenn man auf die Gesamtheit der Mittel blickt, die ihm für die Errichtung seines Gottesstaats gerechtfertigt erscheinen.
Der allererste Post auf diesem Weblog, 'Das 2.Gebot' vom 1.April 2014 (rechts am Fuß der Seite auf 'Ältere Posts' klicken), erscheint plötzlich wieder aktuell: Welcher Gott muss für so etwas seinen Namen hergeben?
Der Deutsch-Rapper Blumio, gut zu finden im www, stellt jede Woche einen gerappten politschen Kommentar ins Netz (YAHOO: RAP DA NEWS) - sehr bemerkenswert im Übrigen, mein persönlicher Favorit ist Folge 139. In der aktuellen Folge 149 äußert er sich zu den Anschlägen in Paris - die militärischen Maßnahmen können seiner Meinung nach den Islamischen Staat nur stärken; was ihn auf Dauer schwächt, ist die humanitäre Unterstützung der syrischen wie auch aller anderen Flüchtlinge. Hoffen wir, dass er Recht behält!
Der allererste Post auf diesem Weblog, 'Das 2.Gebot' vom 1.April 2014 (rechts am Fuß der Seite auf 'Ältere Posts' klicken), erscheint plötzlich wieder aktuell: Welcher Gott muss für so etwas seinen Namen hergeben?
Der Deutsch-Rapper Blumio, gut zu finden im www, stellt jede Woche einen gerappten politschen Kommentar ins Netz (YAHOO: RAP DA NEWS) - sehr bemerkenswert im Übrigen, mein persönlicher Favorit ist Folge 139. In der aktuellen Folge 149 äußert er sich zu den Anschlägen in Paris - die militärischen Maßnahmen können seiner Meinung nach den Islamischen Staat nur stärken; was ihn auf Dauer schwächt, ist die humanitäre Unterstützung der syrischen wie auch aller anderen Flüchtlinge. Hoffen wir, dass er Recht behält!
Dienstag, 10. November 2015
Im Inneren des Wals
Die Traglufthalle Oberhaching liegt am Rand eines Industrie- und Gewerbegebiets. Hier sind inzwischen etwa 300 Flüchtlinge untergebracht, darunter jetzt auch Frauen, Kinder und Familien.
Vieles ist anders als in der Turnhalle, dem Pullacher Notaufnahme-Lager. Der S-Bahnhof ist weiter entfernt, bis zu den Ortszentren Oberhaching und Deisenhofen sind es zu Fuß 20 bzw. 30 Minuten. Das Essen, so heißt es allgemein, sei besser; die Cafeteria-ähnliche Situation wird gern genutzt. Auch die Sanitäreinrichtungen seien in besserem Zustand als zuletzt in der Turnhalle. Die 'Caritas' ist an allen Werktagen beständig vor Ort und ansprechbar. Außerdem kümmert sich der Helferkreis in Oberhaching um die hier Untergebrachten. Es gibt einen Lounge-Bereich und eine Spielecke für Kinder, außerdem Fernsehen auf zwei großen Bildschirmen mit entsprechenden Sitzmöglichkeiten davor.
Die Mitarbeiter der Security sind sehr viel strenger, was sicher auch der größeren Anzahl der Bewohner und der heterogenen Zusammensetzung geschuldet ist, aber auch schon zu Konflikten geführt hat. Es gab Spind-Durchsuchungen, es gibt gründliche Taschenkontrollen am Eingang. Jeder Besucher muss sich ausweisen und seine Papiere hinterlegen. Auch der Vorplatz ist nur durch eine Lücke im Bauzaun zu erreichen.
Vieles ist anders als in der Turnhalle, dem Pullacher Notaufnahme-Lager. Der S-Bahnhof ist weiter entfernt, bis zu den Ortszentren Oberhaching und Deisenhofen sind es zu Fuß 20 bzw. 30 Minuten. Das Essen, so heißt es allgemein, sei besser; die Cafeteria-ähnliche Situation wird gern genutzt. Auch die Sanitäreinrichtungen seien in besserem Zustand als zuletzt in der Turnhalle. Die 'Caritas' ist an allen Werktagen beständig vor Ort und ansprechbar. Außerdem kümmert sich der Helferkreis in Oberhaching um die hier Untergebrachten. Es gibt einen Lounge-Bereich und eine Spielecke für Kinder, außerdem Fernsehen auf zwei großen Bildschirmen mit entsprechenden Sitzmöglichkeiten davor.
Die Mitarbeiter der Security sind sehr viel strenger, was sicher auch der größeren Anzahl der Bewohner und der heterogenen Zusammensetzung geschuldet ist, aber auch schon zu Konflikten geführt hat. Es gab Spind-Durchsuchungen, es gibt gründliche Taschenkontrollen am Eingang. Jeder Besucher muss sich ausweisen und seine Papiere hinterlegen. Auch der Vorplatz ist nur durch eine Lücke im Bauzaun zu erreichen.
Die Halle wird durch Luftdruck stabil gehalten; das Betreten geschieht durch eine Luftschleuse, eine Doppeltür, die verhindert, dass zu viel Innenluft entweicht. Die Hälfte der Hallen ist mit Kojen ausgestattet, wie auf einer Messe, allerdings mit einer Tür zum Durchgang hin. In jeder Koje stehen Stockbetten, meist 3 Stück, dazu ein kleiner Tisch, ein paar Stühle und verschließbare Spinde. Eine 'Zimmerdecke' gibt es nicht, die Türöfffnugen sind auch nur mit Vorhängen verschlosssen. Entsprechend viel hört man aus den Nachbarräumen - und entsprechend häufig wird auch über Lärm geklagt, über wenig Nachtruhe. Wer morgens aufstehen muss und zur Schule, zur Arbeit oder zu einem Deutschkurs geht, ist hier besonders beeinträchtigt.
Der Aufenthaltsbereich der Halle erinnert an die Transitzone eines Flughafens: ein 'Wartesaal der Zeit', nur dass der Zeitpunkt und das Ziel der Weiterreise für viele mehr als ungewiss ist. Monate werden sie hier verbringen, wenn nicht Jahre, wartend, wie über sie entschieden wird. Es ist ein trockener und beheizter Zufluchtsort, immerhin, was nach allen Elendsbildern erst einmal nicht zu unterschätzen ist. Freude weckt solch ein Ort nicht, wie zu erwarten - viel Verzweiflung schaut einem da entgegen, Perspektivlosigkeit. Da können einen schon Zweifel beschleichen, ob die Versorgung, die Integration all dieser Menschen gelingen kann.Montag, 2. November 2015
Frage-Zeichen
Vor einiger Zeit schon bekamen wir einen kurzen Kommentar zu unserem WebBlog:
In Arbeit bringen - privat unterbringen .... Ich frage mich, wie viele von uns durch diesen Behördendschungel geirrt sind oder noch immer irren, ohne dass wir voneinander wussten. Fiba, Arbeitsagentur, Ausländeramt, Leistungsstelle, Amt für Wohnen usw. - sie waren immer alle freundlich - aber zum Verrückwerden gesetzestreu und langsam. Hätten wir uns besser ausgetauscht, unsere Energien gebündelt, Synergieeffekte genutzt, dann wären wir vielleicht eine stärkere Macht gewesen und hätten mehr ausgerichtet. Schade, ich habe so oft den Infofluss vermisst - wir haben alle das gleiche Ziel und doch kochen viele einzelne Süppchen auf dem Herd. Lasst es uns in Zukunft besser machen!
Ja, das ist sicher richtig. Viele Aktivitäten sind parallel verlaufen, ohne dass einer vom anderen wusste. Ein besserer Austausch untereinander hätte da vielleicht für mehr Effizienz gesorgt.
Einerseits. Andererseits: Es gab auf diese Weise kaum strukturbedingten Reibungsverlust, keine Sitzungen - viele taten einfach, was sie für richtig hielten, ohne Ab- und Rücksprachen, ohne Koordinationstermine, die ja auch einige Zeit und oft Kraft kosten.
Nebenbei gesagt: Was für ein Glück war es in diesem Sommer, in einem (naja) Dorf zu leben! Kurze Wege, persönliche Kontakte schnell hergestellt und leichter gepflegt, Wiedersehen zufällig und/oder ohne langfristige Verabredung ...
Unterm Strich ist schwer zu sagen, wie es letztlich besser gewesen wäre. Dieser bewegte Sommer hatte eben für so viele den Zauber des Beginnens und Ausprobierens; vielleicht ist es Sache des Herbsts, das nun in eine Form zu bringen. Fragezeichen.
In Arbeit bringen - privat unterbringen .... Ich frage mich, wie viele von uns durch diesen Behördendschungel geirrt sind oder noch immer irren, ohne dass wir voneinander wussten. Fiba, Arbeitsagentur, Ausländeramt, Leistungsstelle, Amt für Wohnen usw. - sie waren immer alle freundlich - aber zum Verrückwerden gesetzestreu und langsam. Hätten wir uns besser ausgetauscht, unsere Energien gebündelt, Synergieeffekte genutzt, dann wären wir vielleicht eine stärkere Macht gewesen und hätten mehr ausgerichtet. Schade, ich habe so oft den Infofluss vermisst - wir haben alle das gleiche Ziel und doch kochen viele einzelne Süppchen auf dem Herd. Lasst es uns in Zukunft besser machen!
Ja, das ist sicher richtig. Viele Aktivitäten sind parallel verlaufen, ohne dass einer vom anderen wusste. Ein besserer Austausch untereinander hätte da vielleicht für mehr Effizienz gesorgt.
Einerseits. Andererseits: Es gab auf diese Weise kaum strukturbedingten Reibungsverlust, keine Sitzungen - viele taten einfach, was sie für richtig hielten, ohne Ab- und Rücksprachen, ohne Koordinationstermine, die ja auch einige Zeit und oft Kraft kosten.
Nebenbei gesagt: Was für ein Glück war es in diesem Sommer, in einem (naja) Dorf zu leben! Kurze Wege, persönliche Kontakte schnell hergestellt und leichter gepflegt, Wiedersehen zufällig und/oder ohne langfristige Verabredung ...
Unterm Strich ist schwer zu sagen, wie es letztlich besser gewesen wäre. Dieser bewegte Sommer hatte eben für so viele den Zauber des Beginnens und Ausprobierens; vielleicht ist es Sache des Herbsts, das nun in eine Form zu bringen. Fragezeichen.
Donnerstag, 29. Oktober 2015
Trübe Tassen
Morgens beim Friseur. Gesprächsthema Nummer eins: die
Flüchtlinge. „Die Politik hat versagt, die
Politik hat zu spät reagiert, die Politik hat die Bürger nicht informiert…“ – bis mir der Kragen platzt: Wer immer nur die Sportseiten liest, sollte
die Gründe für die eigene Ahnungslosigkeit vielleicht erstmal anderswo suchen, bevor er
‚die Politik’ dafür verantwortlich macht.
Wer ist denn ‚die Politik’?
Es gibt inzwischen etliche Erklärungsversuche, warum so viele Menschen hier helfend
tätig sind: Um als Land gut dazustehen vor der Welt, für das eigene Ego, um
eine gefühlte historische Schuld wiedergutzumachen, aber auch als
Selbstermächtigung, als Versuch, selbst ein politisch handelndes Subjekt zu
werden, weit über das Stimmzettel-Kreuzchen hinaus. Letztlich also
als Bestreben, nicht mehr alles zu delegieren, sondern selbst an Stelle ‚der Politik’ zu treten.
Am Abend lädt die Gemeinde die Helfer und
Flüchtlingsbegleiter zu einem festlichen Essen ein. Gemischte Gefühle auf dem
Weg dorthin: Sollen alle, die sich hier einsetzen oder eingesetzt haben, mit
einer Geste abgespeist werden? Was früher der Wappenteller oder die Pullach-Tasse
war, soll jetzt durch ein warmes Essen ersetzt werden? Dafür hat man es doch
nun wirklich nicht gemacht.
Es kommt alles ganz anders. Viele sind hier versammelt, die
voneinander gar nicht wussten, dass sie sich auf diesem Feld betätigen. Viele
Flüchtlinge sind gekommen, nicht nur die kürzlich transferierten 'Turnhallen-Flüchtlinge',
sondern auch die im Ort untergebrachten Familien, die man sonst kaum zu Gesicht bekommt. Einen glücklichen Abend lang sind die Fernsehbilder vom Balkan in den Hintergrund getreten, für ein
paar Stunden, so kommt es einem vor, lässt sich hier eine Zivil-Gesellschaft
erahnen, die das politische Tun selbst in die Hand genommen hat. Für kurze Zeit
ist eine Selbstvergewisserung spürbar: ‚Die Gemeinde’ ist keine ausgelagerte
Instanz, ähnlich wie ‚die Politik’, nein – genau hier hat sich ‚Gemeinde’ konstituiert, eine Minderheit sicherlich, aber eine, die sich nicht mit
Schuldzuweisungen aufhält und sich durch die ungewissen Erfolgsaussichten nicht von ihrem Engagement abhalten lässt.
Das alles mag sich auch wieder eintrüben, gewiss. Trotzdem: Danke für diese Einladung, die eine ermutigende Erfahrung ermöglichte und Gelegenheit bot, füreinander erkennbar zu werden!
Das alles mag sich auch wieder eintrüben, gewiss. Trotzdem: Danke für diese Einladung, die eine ermutigende Erfahrung ermöglichte und Gelegenheit bot, füreinander erkennbar zu werden!
Freitag, 16. Oktober 2015
TRANSFER
Heute ist das Camp in Pullach geräumt und die noch verbliebenen Flüchtlinge in die neue Traglufthalle nach Oberhaching verlegt worden.
Zeit für eine Atempause, Bedenkzeit für alle, die dort unterstützend und begleitend tätig waren. Es ist jedenfalls gelungen, im nahen Kontakt mit Helfern in Oberhaching dafür zu sorgen, dass am neuen Ort sofort wieder Ansprechpartner bereitstanden.
Bewegendster Moment vielleicht: die Gruppe der Eritreer, die betend vor dem Eingang der Traglufthalle zusammenstanden, bevor sie ihr neues Domizil betraten.
Bewegendster Moment vielleicht: die Gruppe der Eritreer, die betend vor dem Eingang der Traglufthalle zusammenstanden, bevor sie ihr neues Domizil betraten.
Donnerstag, 15. Oktober 2015
GEDULDSFÄDEN
Es wurde uns viel abverlangt in diesem Sommer: Die Schüler der Mittelschule, die
Volkshochschule und viele andere Sportsfreunde wollen nun endlich ihre Turnhalle
wieder nutzen. Die Nachbarn in der Kagerbauer- und Johann-Bader-Straße wünschen
sich ihre Nachtruhe zurück, wodurch sich hoffentlich auch die Immobilienwerte
wieder stabilisieren dürften. Die Fußball-Abteilung des SV Pullach möchte wieder
unter sich sein und nicht als
Sozialstation für Flüchtlinge dienen. War nicht versprochen
worden, dass die Notunterkunft in der Halle der Mittelschule längstens bis Mitte
August genutzt werden wird? Wir haben nun doch lange genug Großmut bewiesen und
mit diesen Fremdlingen unser schönes Pullach geteilt! Wie lange wurde unsere
Geduld beansprucht!
Treten wir durch die Glastür der Turnhalle, eröffnet
sich eine andere Perspektive: Dort teilten sich nun fast 5 Monate lang zwischen
50 und 100 junge Männer einen einzigen Raum, ein paar wenige Duschen und
Toiletten. Durch zurechtgerückte Spinde, aufgetürmte Koffer und herunterhängende
Bettlaken haben sie versucht, sich einen Hauch von Privatsphäre zu schaffen.
Stellen wir uns das einmal vor! Fast alle sind jung und kräftig, aber haben
nichts zu tun, weil sie nicht arbeiten dürfen. Dadurch sind sie zum Teil
quälenden Erinnerungen ausgesetzt, die traurig, aber auch aggressiv machen
können. So versucht jeder, mit seiner Not zurechtzukommen. Der eine trinkt, der
andere hört laut Musik, der dritte kommt auf die Idee, nachts mit dem Skateboard
durch die Halle zu fahren. Jedes Geräusch ist für alle hörbar. Keiner findet
Nachtruhe. Bei Auseinandersetzungen gibt es keine gemeinsame
“Flüchtlingssprache“. Ist das nicht zum Verrücktwerden?
Da nimmt es nicht Wunder, dass es schon ein paar
„Revolten“ gab: „Wir halten es hier nicht mehr aus!“
Tatsächlich aber ist es das größere Wunder, dass nie
etwas Schwerwiegendes geschehen ist. „Wir alle sind hier Freunde, egal aus
welchem Land wir kommen“, so ist öfters zu hören. Was für eine soziale Leistung!
Die Geduldsfäden werden scheinbar immer wieder neu geknüpft.
Nun geht diese Periode zu Ende. Die Verlegung in die
Traglufthalle in Oberhaching steht unmittelbar bevor. Was für manche Pullacher
Bürger Erleichterung bedeuten dürfte, ist für andere ein schmerzhafter Abschied.
Man höre: Unsere Flüchtlinge wollen hier bleiben, sie lieben Pullach! Sie haben
angefangen, Kontakte zu knüpfen, Freundschaften zu pflegen, Vertrauen zu
gewinnen und kleine Wurzeln zu schlagen. „Hier wurden wir seit langem zum ersten
Mal als Menschen gesehen.“ „Wir haben Pullach adoptiert.“ „Wir wollen jetzt
nicht wieder bei Null anfangen.“ „Wir sind verzweifelt.“
Denn ob sie in der Traglufthalle die versprochene
Verbesserung der Wohnqualität erwartet, ist fraglich. Sechs Personen werden in
jeweils einer „Box“ untergebracht sein – auf engstem Raum und weiterhin ohne
akustische Trennung. Die Lage in der Gewerbezone von Oberhaching dürfte zudem
das Hineinwachsen in einen neuen Lebensmittelpunkt sehr erschweren. „Es fühlt
sich an wie Gefängnis“, so haben sich Mitglieder des Helferkreises nach einer
Besichtigung geäußert.
Der Geduldsfaden ist äußerst angespannt. Trotzdem sehen
die meisten Flüchtlinge ein, dass ihnen nichts anderes bleibt als sich in die
Sachzwänge und ihr Schicksal zu fügen.
Jedoch nicht nur ihnen fällt der bevorstehende Abschied
schwer. Da sind die zahlreichen unermüdlichen Helfer, die Deutschunterricht
gegeben, Ausflüge und Feste organisiert, Arbeit, Schulplätze und Sprachkurse
vermittelt, Sportbegegnungen ermöglicht, Kleiderspenden besorgt, Arzt- und
Amtsbesuche begleitet, nach Hause eingeladen oder einfach nur zugehört haben.
Dadurch konnte vielleicht Schlimmes verhütet werden, denn einige der
Turnhallenbewohner hatten in den ersten Wochen Suizidgedanken.
Ja, uns allen war viel von dem abverlangt, was
eigentlich Aufgabe des Staates sein sollte und in anderen Bundesländern auch
schon von staatlichen Stellen übernommen wird.
Aber mehr: Wir haben unsere Schützlinge aus tiefstem
Herzen lieb gewonnen! Der Transfer nach Oberhaching fühlt sich an wie eine
kleine „Abschiebung“ und stimmt uns traurig. Das bange Warten auf den konkreten
Termin, die vergeblichen Versuche, doch noch eine Unterkunftsalternative in
Pullach zu finden, all das hat auch unsere Geduldsfäden zum Zerreißen
strapaziert. Wir sind erschöpft, und es ist bitter, sich nun so völlig machtlos
zu fühlen.
Wie alles weitergeht? Neue Flüchtlinge werden nach
Pullach kommen. Die menschliche Herausforderung wird nicht nachlassen. Für die
meisten von uns Helfern steht fest: Menschen sind nicht austauschbar. Wir halten
es für notwendig, „unsere“ Jungs auch in Oberhaching weiter zu begleiten, soweit
das möglich ist. Uns in selber Weise den Neuankömmlingen zu widmen, wird uns
schwer fallen.
Liebe Pullacherinnen und Pullacher, Sie können helfen,
indem Sie eventuell freistehenden Wohnraum dem Landratsamt zur Anmietung zur
Verfügung stellen. Dann könnten unsere schon gut integrierten Flüchtlinge in ihr
geliebtes Pullach zurückkehren.
Denn es wird nicht ausbleiben, dass wir etwas enger
zusammenrücken und uns an Fremde gewöhnen müssen. Der Strom wird nicht abreißen,
solange Deutschland Waffen in alle Welt liefert, mit denen die Häuser der
späteren Flüchtlinge in Schutt und Asche geschossen werden und solange
Klimawandel und Handelsabkommen die wirtschaftlichen
Strukturen in den Herkunftsländern so zerstören, dass Menschen es vorziehen,
ihre Heimat zu verlassen und durch die Wüste Richtung Europa zu irren.
Wir sind eine Welt, in der alles mit allem
zusammenhängt. Bertolt Brecht hat es 1934 so formuliert:
Reicher Mann und armer
Mann
standen da und sah`n sich
an.
Und der Arme sagte
bleich:
„Wär ich nicht arm, wärst du nicht
reich.“
Wappnen wir uns also mit Geduld, lassen wir uns weiter von unserem Mitgefühl leiten! Dann
schaffen wir das.
Hedwig Rost
Samstag, 26. September 2015
Verstopfung
Langsam reichts. Jetzt wird man als Mitglied des Helferkreises schon darum gebeten, sich am Freitagabend noch um die verstopften Toiletten 'im Camp' (der als Notaufnahmelager eingerichteten Turnhalle) zu kümmern. Lohnt es sich überhaupt noch, da etwas zu reparieren? - wird man gefragt. Soll das Camp nicht ohnehin nach dem Wochenende geräumt werden? Keiner weiß Genaueres, und die Flüchtlinge dürfen sich als Verschub-Masse fühlen. Menschenwürde sieht anders aus.
Verstopfte Toiletten - niemand will sich die Finger schmutzig machen. Es ist leichter, mit sauberen Fingern auf die Flüchtlinge zu zeigen: 'Warum lassen die auch die Toiletten so verkommen?' Kein Gedanke daran, wie es z.B auf dem Zeltplatz Thalkirchen nach zwei Wochen Oktoberfest aussieht. Kein Gedanke daran, wie ganz normale Schultoiletten aussähen, wenn sie nicht regelmäßig gereinigt würden.
Die Flüchtlinge sind sich selbst überlassen. Es gibt zwar immer noch Helfer, die sich um Flüchtlinge kümmern, aber im Hinblick auf die ungewisse Zukunft des Camps und die vielen Widerstände (s. Blogpost 'Stoßseufzer') und Rückschläge gehen die Kräfte allmählich zuende. Und dann erfährt man noch, dass das, was in Pullach ehrenamtlich getan wird, anderswo staatlich/städtisch organisiert und finanziert stattfindet:
Es ginge doch! In Hamburg besuchen mobile Screeningteams die Camps, erfragen die persönlichen Hintergründe, Ausbildung und Berufswünsche. 'Work and Integration for refugees' (W.I.R.) heißt das Projekt, das gleichzeitg Zugriff auf freie Arbeitsstellen (auch für Ungelernte und noch nicht Deutsch-Sprechende) hat und Arbeitgeber mit motivierten Arbeitssuchenden zusammenbringt. Dort wird als hoheitliche Aufgabe verstanden, was hier mit großem Zeitaufwand ehrenamtlich unternommen wird.
Hier - so der wachsende Eindruck - herrscht Verstopfung: Wegschauen, wegducken und irgendwann wegspülen, in die (immer noch nicht fertigen?) Traglufthallen auf der anderen Seite der Isar. Und wenn die auch schon voll sind? Verschub-Masse ist ist da noch ein höflicher Ausdruck dafür, wie sich das für die Betroffenen anfühlen mag.
Verstopfte Toiletten - niemand will sich die Finger schmutzig machen. Es ist leichter, mit sauberen Fingern auf die Flüchtlinge zu zeigen: 'Warum lassen die auch die Toiletten so verkommen?' Kein Gedanke daran, wie es z.B auf dem Zeltplatz Thalkirchen nach zwei Wochen Oktoberfest aussieht. Kein Gedanke daran, wie ganz normale Schultoiletten aussähen, wenn sie nicht regelmäßig gereinigt würden.
Die Flüchtlinge sind sich selbst überlassen. Es gibt zwar immer noch Helfer, die sich um Flüchtlinge kümmern, aber im Hinblick auf die ungewisse Zukunft des Camps und die vielen Widerstände (s. Blogpost 'Stoßseufzer') und Rückschläge gehen die Kräfte allmählich zuende. Und dann erfährt man noch, dass das, was in Pullach ehrenamtlich getan wird, anderswo staatlich/städtisch organisiert und finanziert stattfindet:
Es ginge doch! In Hamburg besuchen mobile Screeningteams die Camps, erfragen die persönlichen Hintergründe, Ausbildung und Berufswünsche. 'Work and Integration for refugees' (W.I.R.) heißt das Projekt, das gleichzeitg Zugriff auf freie Arbeitsstellen (auch für Ungelernte und noch nicht Deutsch-Sprechende) hat und Arbeitgeber mit motivierten Arbeitssuchenden zusammenbringt. Dort wird als hoheitliche Aufgabe verstanden, was hier mit großem Zeitaufwand ehrenamtlich unternommen wird.
Hier - so der wachsende Eindruck - herrscht Verstopfung: Wegschauen, wegducken und irgendwann wegspülen, in die (immer noch nicht fertigen?) Traglufthallen auf der anderen Seite der Isar. Und wenn die auch schon voll sind? Verschub-Masse ist ist da noch ein höflicher Ausdruck dafür, wie sich das für die Betroffenen anfühlen mag.
Dienstag, 22. September 2015
Ein Stoßseufzer
Überall wird jetzt über die Beschleunigung von Asyl-Anerkennungsverfahren diskutiert: Die Guten ins Kröpfchen ... Dabei gibt es zur Zeit einige andere Verfahren, die beschleunigt und vereinfacht zu werden verdienen - und kaum jemand spricht darüber.
Alle Welt staunt über die Willkommenskultur hierzulande, über das breite gesellschaftliche Engagement. Dieses Engagement erschöpft sich nicht in der Erstversorung ankommender Flüchtlinge am Ankunftsbahnhof. Es geht inzwischen weit darüber hinaus - und da wird es wirklich erschöpfend.Wer jemals versucht hat, einem Flüchtling eine bezahlte Arbeit zu vermitteln, der weiß ein Lied davon zu singen: Alle erforderlichen Papiere und Stempel sind da, die Berechtigung zur Annahme bezahlter Arbeit, ein Arbeitsplatz samt Arbeitsvertrag unter Berücksichtigung des gesetzlichen Mindestlohns, der Antrag auf Vornahme der Nachrangigkeitsprüfung durch das BfA (die Prüfung, ob der Arbeitsplatz durch Deutsche bzw. EU-Bürger besetzt werden kann) - und trotzdem dauert es noch Ewigkeiten, bis der Flüchtling die Arbeit wirklich antreten kann. X verschiedene Stellen sind hier beteiligt - für die Zuteilung der Steuernummer, die Prüfung, ob die vergünstigte Fahrkarte weiterhin in Anspruch genommen werden kann, den Nachweis einer Krankenversicherung ... Und wie viel wird vom Arbeitslohn einbehalten? Auch die bestwilligen Arbeitgeber warten und warten und raufen sich die Haare. Vom betroffenen Flüchtling ganz zu schweigen.
All diese Hürden machen letztlich Schwarzarbeit attraktiv. So wichtig die Formulare sein mögen - ohne Deutschkenntnisse versteht sie keiner. So kompetent die einzelnen Behörden einschließlich der Beratungsstellen auch sein mögen - als Helfer läuft man sich auf dem Weg von A nach B nach C nach A nach D nach B buchstäblich die Hacken ab. Es ist ein Full-Time-Job, auch nur einen einzigen Flüchtling in Lohn und Brot zu bringen! Ihn von staatlicher Fürsorge tendenziell unabhängig zu machen - das wäre doch im Grunde erstrebenswert.
Oder hat jemand schon einmal versucht, einen Flüchtling privat unterzubringen - womöglich in München (bei Residenzpflicht im Landkreis)?? Angeblich geht das alles, irgendwie und irgendwann, aber wieviel Zeit und Nerven kostet das! Auch die motiviertesten Helfer stoßen da an ihre Grenzen, und schon wird allenthalben über 'das Ende der Euphorie' spekuliert.
Aber woher kommt diese Erschöpfung? Es kann doch nicht so schwer sein, Informationsblätter herauszugeben bzw. ins Internet zu stellen, was alles an Formularen erforderlich ist, wo man sie bekommt und wo sie abzugeben sind! Ganz zu schweigen von einer Verfahrensbeschleunigung bei Arbeits- und Wohnungssuche - wenn es denn politisch gewollt wäre!
Das derzeitige ehrenamtliche Engagement ist eine ungeheure zivilgesellschaftliche Ressource, die aktuell verschleudert zu werden droht, zermahlen in den Mühlen einer Bürokratie, die nicht auf Bürgerbeteiligung ausgerichtet ist. Wenn der Elan erlahmt, dann ist nicht 'die Flüchtlingskrise' schuld, sondern ein Verwaltungsaufwand, der wirklich hinterfragt zu werden verdient. Und der statt Verfahrensgerechtigkeit irgendwann nur noch Frustration, Desintegration und Resignation produziert.
Dienstag, 8. September 2015
Herbstanfang
Das Flüchtlingslager in der Pullacher Turnhalle wird, so war jetzt von verschiedener Seite zu hören, 'Anfang Oktober' aufgelöst. Wohin die dort untergebrachten Flüchtlinge dann kommen, war noch nicht zu erfahren. Das und die wiederholte Terminverschiebung sind natürlich belastend für alle Betroffenen. Sobald Näheres bekannt ist, wird es hier zu lesen sein.
Nachtrag: Mittlerweile ist von 'Ende Oktober' die Rede. Es ist in der Zwischenzeit auch immer wieder vereinzelt zu Neueinweisungen gekommen - was bei vielen als Zeichen verstanden wird, dass es noch nicht so bald zu einer Verlegung kommt. Aber mehr als Gerüchte gibt es nicht.
Nach-Nachtrag: Am 17.10. wurden die noch verbliebenen ca. 50 Flüchtlinge in die neu fertiggestellte Traglufthalle in Oberhaching verlegt.
Nachtrag: Mittlerweile ist von 'Ende Oktober' die Rede. Es ist in der Zwischenzeit auch immer wieder vereinzelt zu Neueinweisungen gekommen - was bei vielen als Zeichen verstanden wird, dass es noch nicht so bald zu einer Verlegung kommt. Aber mehr als Gerüchte gibt es nicht.
Nach-Nachtrag: Am 17.10. wurden die noch verbliebenen ca. 50 Flüchtlinge in die neu fertiggestellte Traglufthalle in Oberhaching verlegt.
Es schafft - nebenbei bemerkt - ein seltsames Gefühl, jetzt die Gesichter zu verpixeln, nachdem sie über Monate hin Namen bekommen und sich mit Lebensgeschichten verbunden haben.
Sonntag, 6. September 2015
Lagerkoller
Unterwegs auf mehrtägiger Bergtour. Endlich ist die Hütte
erreicht – doch Schlafplätze gibt es nur noch im Matratzenlager. Romantisch –
wenigstens für eine Nacht. Keiner muss mehr Auto fahren, in der Stube fließt der Alkohol, das
Schnarchkonzert gerät vielstimmig. Bei der Nachtruhe herrscht eher Gleitzeit, mancher sucht im Dunkel den Weg zur Toilette. Die ersten stehen
in aller Frühe auf, und leider versteht man jedes Wort. Da ist viel
Kaffee nötig, um selbst in Gang zu kommen. Bei aller Romantik: Zuhause stehen
Toilette, Dusche und das eigene Bett, bald gibt es wieder ein Privatleben.
Und wenn nicht? Die Turnhalle in Pullach ist nach wie vor
von Flüchtlingen belegt – unter Matratzenlagerbedingungen: 100 junge Männer auf
engem Raum, seit mehr als einem Vierteljahr jetzt. Dass es im Lager weitgehend
friedlich blieb, ist nicht ganz selbstverständlich. Einige dürfen inzwischen
arbeiten und leiden nach einem 8-Stunden-Arbeitstag unter fehlender Nachtruhe. Immerhin haben sie tagsüber etwas zu tun. Andere
haben sich in den Alkohol geflüchtet, manche sehen nach Erhalt des
Abschiebungsbescheids nicht mehr ein, dass sie sich an irgendwelche Regeln halten
sollen, und leider kommt es auch zu Diebstahlsfällen untereinander. Es ist ein
ganz normaler Ausschnitt der Menschheit, der dort versammelt ist, es sind keine besseren und keine schlechteren Menschen als wir. Aber was täten wir unter diesen Bedingungen? 100 Tage Matratzenlager?
Willkommenskultur jedenfalls ist weit über den ersten Tag
hinaus gefragt; zu einem
realistischen Blick gehört auch der beständige Versuch, sich in die Lage seines Gegenübers zu versetzen. Soweit das geht. Denn die wenigsten im Lager können erzählen, was hinter ihnen liegt, auch nach 100 Tagen nicht.
Donnerstag, 27. August 2015
In der Fremde
Ein junger Mann macht das Wenige, was er hat, zu Geld. Damit und mit der Hilfe seiner Familie kann er Schlepper bezahlen, die ihm die Reise in ein reiches Land und in eine bessere Zukunft versprechen. Das Schiff, auf dem der junge Mann die Überfahrt wagt, ist voll mit Migranten und alles andere als seetüchtig: Es scheitert nach einer Kollision im Sturm. Unser Flüchtling wird als einziger Überlebender der Katastrophe an einer europäischen Küste angetrieben. Kinder werfen mit Steinen nach ihm, Hunde werden auf ihn gehetzt, er wird zuletzt wie ein wildes Tier eingefangen und in einen Schweinekoben gesperrt. Soll das nun das versprochene neue Land sein?
Mit der Zeit lernt er etwas von der fremden Sprache und fasst Fuß in dieser Gesellschaft. Doch er bleibt der Fremde, allein schon aufgrund seiner dunkleren Hautfarbe, seines Akzents und seines lebhaften Temperaments. Umgekehrt hört auch er nicht auf, sich zu wundern - über die fremden Sitten, über die Verschlossenheit und Herzenskälte seiner Umwelt. Immerhin findet er ein Mädchen (das im Dorf als halbe Närrin gilt), heiratet es, und sie bekommen ein Kind. Doch er bleibt der Fremde, auch für seine Frau.
Als er an einer Lungenentzündung erkrankt und im Fieber in seine Muttersprache zurückverfällt, bekommt sie panische Angst um sich und den kleinen Sohn und flieht vor ihrem todkranken Mann.
Eine kurze und erschütternde Erzählung aus dem Jahre 1901: Amy Foster - von Josef Conrad. Weitgehend unbekannt, aber von offensichtlicher Aktualität: Armut, Schlepper, die riskante Schiffsreise, ein Wirtschaftsflüchtling, in diesem Fall aus Osteuropa - und wie nimmt ihn 'unsere' Gesellschaft auf? Wie nimmt er 'unsere' Gesellschaft wahr?
Joseph Conrad war Pole, aufgewachsen in der Verbannung nach einem der gescheiterten Aufstände gegen das zarisitische Russland. Mit 18 Jahren gelangt er nach England - in das Land, wo der tragische Held seiner Geschichte scheitert. Hier beginnt später sein Weltruhm als Erzähler; 'Heart of Darkness' etwa (worauf der Film 'Apokalpse now' basiert) ist eine seiner bekanntestes Erzählungen. 'Amy Foster' steht im Schatten seiner anderen Werke, die meist in exotischeren Regionen spielen oder eben auf hoher See.Und trotzdem, trotzdem wird hier auf wenigen Seiten seine große Meisterschaft spürbar, sein Einfühlungsvermögen und nicht zuletzt etwas von seiner eigenen Geschichte. Einer Geschichte, die sich seither millionenfach wieder und wieder ereignet und erzählt hat.
Mit der Zeit lernt er etwas von der fremden Sprache und fasst Fuß in dieser Gesellschaft. Doch er bleibt der Fremde, allein schon aufgrund seiner dunkleren Hautfarbe, seines Akzents und seines lebhaften Temperaments. Umgekehrt hört auch er nicht auf, sich zu wundern - über die fremden Sitten, über die Verschlossenheit und Herzenskälte seiner Umwelt. Immerhin findet er ein Mädchen (das im Dorf als halbe Närrin gilt), heiratet es, und sie bekommen ein Kind. Doch er bleibt der Fremde, auch für seine Frau.
Als er an einer Lungenentzündung erkrankt und im Fieber in seine Muttersprache zurückverfällt, bekommt sie panische Angst um sich und den kleinen Sohn und flieht vor ihrem todkranken Mann.
Eine kurze und erschütternde Erzählung aus dem Jahre 1901: Amy Foster - von Josef Conrad. Weitgehend unbekannt, aber von offensichtlicher Aktualität: Armut, Schlepper, die riskante Schiffsreise, ein Wirtschaftsflüchtling, in diesem Fall aus Osteuropa - und wie nimmt ihn 'unsere' Gesellschaft auf? Wie nimmt er 'unsere' Gesellschaft wahr?
Joseph Conrad war Pole, aufgewachsen in der Verbannung nach einem der gescheiterten Aufstände gegen das zarisitische Russland. Mit 18 Jahren gelangt er nach England - in das Land, wo der tragische Held seiner Geschichte scheitert. Hier beginnt später sein Weltruhm als Erzähler; 'Heart of Darkness' etwa (worauf der Film 'Apokalpse now' basiert) ist eine seiner bekanntestes Erzählungen. 'Amy Foster' steht im Schatten seiner anderen Werke, die meist in exotischeren Regionen spielen oder eben auf hoher See.Und trotzdem, trotzdem wird hier auf wenigen Seiten seine große Meisterschaft spürbar, sein Einfühlungsvermögen und nicht zuletzt etwas von seiner eigenen Geschichte. Einer Geschichte, die sich seither millionenfach wieder und wieder ereignet und erzählt hat.
Montag, 24. August 2015
Eritrea - Afrikas Nordkorea?
Ein Gastbeitrag von Anke Schlee
Einige der
Flüchtlinge, die derzeit in der Turnhalle der Pullacher Mittelschule
untergebracht sind, kommen aus Eritrea. Eigentlich wollte ich einen von ihnen
interviewen, um auch hier einen Menschen und sein Schicksal zu zeigen, denn bei
der Masse an Flüchtlingen verschwindet das Menschliche viel zu oft hinter
Zahlen.
Doch ich habe keinen
Eritreer gefunden, der bereit wäre, mir seine Geschichte zu erzählen. Der Grund
dafür ist die nackte Angst. Angst vor der Regierung im eigenen Land, Angst vor
dem eigenen Land selbst in tausenden Kilometern Entfernung hier mitten in
Pullach. Die Flüchtlinge fürchten um ihr Leben, so sie denn nach Eritrea zurück
müssten und heraus käme, dass sie schlecht über ihr Land sprachen, das wurde
mir gesagt.
Die Eritrea-Untersuchungskommission der UNO hat Anfang Juni festgestellt, dass
massive Verletzungen der Menschenrechte dort "den Tatbestand von
Verbrechen gegen die Menschlichkeit erfüllen könnten“. Von willkürlichen
Hinrichtungen und systematischer Folter ist die Rede. Medien zitieren aus dem
Bericht, dass die UN-Ermittler an alle Staaten appellieren, eritreische
Asylsuchende nicht zur Rückkehr zu zwingen. Das Regime bestrafe „jeden, der
versucht, das Land ohne Genehmigung zu verlassen“.
Was für Menschen leben
da gerade mit uns hier im idyllischen Isartal? Was haben sie erlebt, was haben
sie für Perspektiven? Ich frage mich, was ich tun kann und besinne mich auf die
kleinen Schritte, die summiert auch etwas ausmachen. Ein Händedruck, ein
Gespräch, ein bisschen Deutsch-Unterricht und ein bisschen „Willkommen“, das
kann ich tun und das tue ich gerne. So wie viele Mitstreiter im Helferkreis
Flüchtlinge & Integration Pullach, die sich engagieren. Geben ist oft
schöner als Nehmen, eine gute Erfahrung bei all den Problemen in diesem
Zusammenhang.
Freitag, 7. August 2015
Ein Sommer geht zu Ende
Wenn die Schatten länger werden und die Pullacher Familien
aus dem Urlaub zurückkehren, wird die Turnhalle der Mittelschule wieder für den
Sport zur Verfügung stehen. Viele Anwohner werden aufatmen, weil die Lärmbelästigung vorbei ist.
Im „Wäldchen“ vor dem Rathaus wird es wieder freie Sitzplätze geben, ebenso auf
dem Mäuerchen an der Musikschule.
Alles wird wieder so sein wie
vorher. Die Gemeinde hat ihre Schuldigkeit, was die Aufnahme von Flüchtlingen
anbetrifft, vorerst getan.
Und doch: Fehlt da nicht etwas?
Nicht nur Norma und Lidl werden Umsatzeinbußen verspüren. Da fehlt eine
besondere Lebendigkeit in Pullach. Da fehlt diese große Herausforderung an
unsere Menschlichkeit. Es fehlt auch ein Stück Kultur. Wer hat nicht die
Trommelgruppe aus Westafrika erlebt – beim Franzosenfest, beim Sommerfest der
Mittelschule, beim Sommerkonzert der Musikschule oder auch einfach an der Isar?
Oder den Triumph „unserer“ Flüchtlinge beim Baierbrunner Sommerlauf? Waren wir
nicht auch ein wenig stolz, in unserem Pullach solche „Mannsbilder“ zu haben?
Afrikanische Musik und
Sportlichkeit – Zeichen purer Lebensfreude?
Nein, dieser Schein trügt. Die
meisten unserer Flüchtlinge sind schwer traumatisiert. Der Sport lenkt sie ab
von ihren schmerzhaften Erinnerungen. Das gemeinsame Trommeln und Singen ist
ein Rettungsanker, der ihnen ein wenig hilft, zu vergessen und ihre innere Not
schöpferisch in Musik umzuwandeln.
Für das Konzert der Musikschule im
Bürgerhaus haben sie ein Lied geschrieben, dessen Text weiter unten (Blogpost 'NICHT IM TRAUM' vom 20.7.15) wiedergegeben ist.
Liebe Pullacherinnen und Pullacher!
Für viele dieser sehr jungen Männer ist der Abschied aus unserer Gemeinde und
der Transfer an einen anderen Ort fatal. Bindungen sind hier gewachsen, die
ihnen ein wenig Halt geben konnten und die nun fast lebensnotwendig geworden
sind. Über die Entfernung werden sie sich kaum aufrechterhalten lassen.
Deshalb möchte ich Sie
eindringlich bitten: Wenn Sie eine Wohnung oder ein Haus zu vermieten haben,
stellen Sie es für einige dieser jungen Flüchtlinge zur Verfügung! Vielleicht
steht Omas Häuschen leer und Sie wollen es noch nicht gleich verkaufen. Oder
Sie haben eine ungenutzte Einliegerwohnung.
Das Landratsamt mietet auch
befristet Objekte an. Es gibt ausreichend helfende Hände im Helferkreis, die
die Verantwortung übernehmen für Gartenpflege, Instandhaltung und nicht zuletzt
für die Einhaltung der deutschen Regeln des Zusammenlebens. Dass das gelingen
könnte, dafür lege ich meine Hand ins Feuer.
Der Sommer neigt sich dem Ende zu.
Die Schatten werden länger. Die leere Turnhalle in der Kagerbauerstraße wird
für viele einen sehr langen Schatten werfen.
Hedwig Rost
Freitag, 31. Juli 2015
Gewinnchancen
Seit 2 Monaten sind die Pullacher Flüchtlinge in mein Leben
getreten. So fühlt es sich für mich an. Ich biete meine Dienste an mit
Deutschunterricht und Begleitung bei wichtigen Terminen. Darüber hinaus aber
vertrauen mir mehr und mehr dieser hier gestrandeten jungen Menschen ihre
Lebensgeschichte an. Das ist meistens tief erschütternd, aber gleichzeitig
beglückend, weil ich mich daran freue, wie mit wachsendem Vertrauen die
Traurigkeit und Verlorenheit aus vielen der Gesichter weicht. Ich kann sagen,
dass mit vielen inzwischen eine tiefe Verbindung entstanden ist.
Kürzlich gelang es mir, zweien meiner besonderen
„Schützlinge“ aus Westafrika einen großen Wunsch zu erfüllen: Meine 19jährige
Tochter und ich nahmen sie mit aufs Land und an den Starnberger See.
Es ist einer der heißesten Tage dieses Sommers. In
Holzhausen zeige ich ihnen das wundervolle Wallfahrtskirchlein und hoffe, dass
der Ort für sich selbst spricht. Lange sitzen wir in dem bäuerlich naiv
gestalteten Kirchenraum, genießen die Kühle und Stille und kommen ins Gespräch.
Die beiden sind Muslime. Wir betrachten geflügelte Engel und eine Madonna und
es gelingt mir, ein paar der dargestellten biblischen Geschichten zu erklären.
Glücklicherweise kenne ich einige Berührungspunkte zwischen Koran und Bibel.
Dies alles ist neu und fremd für die beiden jungen Männer, die soeben den
Ramadan hinter sich gebracht haben. Sie staunen über die Darstellung Gottes als
alten Mann und wir kommen ins Philosophieren. Wie kann man sich Gott vorstellen
– und darf man das überhaupt? „Gott ist in allem“, sagt einer. „Ja“, denke ich,
„wenn man ihn hereinlässt.“
Hoch zufrieden fahren wir an den Strand. Zum Glück ist das
Wasser warm genug für die beiden Afrikaner. Während die „Jugend“ sich nun schon
fröhlich im See vergnügt, komme ich, bis zu den Knien im Wasser stehend, mit
einer Frau ins Gespräch, die mich fragt, ob das denn Flüchtlinge seien und mit
welcher Motivation ich mich mit ihnen abgebe. „Meine Eltern waren auch
Flüchtlinge“, sagt sie, „Sudetendeutsche. Deshalb hat mich dieses Thema
geprägt. Aber ich finde es nicht gut, wenn nun wieder so viele traumatisierte
Menschen hier ankommen. Lieber soll man dafür sorgen, dass die Meere vor der
westafrikanischen Küste nicht von europäischen und kanadischen Fangflotten leer
gefischt werden und dass der Klimawandel die Verwüstung in Afrika nicht
fortschreiten lässt“. Wie recht sie hat! Sie beginnt, mir sehr sympathisch zu
werden. „Aber bis dahin“, wende ich ein, „betrachte ich es als unsere Aufgabe
als Mitverursacher der Flüchtlingsströme, die Menschen, die bei uns Zukunft
suchen, aufzunehmen.“ Plötzlich verfinstert sich meine Gesprächspartnerin. „Ja,
aber… Sie sind so fremd. In der Nachbarschaft meiner Eltern wohnen jetzt
Flüchtlinge. Das ist unzumutbar und eine Wertminderung ihres Hauses.“ Daher
weht also der Wind? Ich merke, wie ich wütend werde. „Wenn Sie so denken,
möchte ich das Gespräch nicht fortsetzen“, sage ich und gehe schwimmen.
Nun mache ich mit den jungen Leuten Picknick am Strand. Wir
spielen zusammen afrikanische Spiele mit Steinchen und Blättern. Was für eine
Freude für alle! Meine Gesprächspartnerin lagert in der Nähe und „linst“ immer
wieder zu uns herüber. Als die Sonne sich senkt, machen wir ein paar Fotos im
Abendlicht. Da steht sie auf und bietet sich als Fotografin an. „Ich war sehr
skeptisch am Anfang“, gesteht sie mir, „aber die beiden sind ja derartig nett!
Sie haben völlig recht: Persönliche Begegnung ändert alles. Nun habe ich
richtig Lust, zu helfen.“ Es stellt sich heraus, dass sie aus Grünwald kommt.
Wir tauschen Adressen aus und sind seither in regem Mail-Wechsel. Sie bemüht
sich, Arbeitsmöglichkeiten zu finden, wenn die Sperrfrist abgelaufen ist, und
Kontakte zu ihren Freunden herzustellen.
Ich spüre deutlich: Das ist kein Mitleid mit den „armen“
Flüchtlingen, was sie antreibt, sondern Freude an der Begegnung mit diesen
Menschen aus einer anderen Welt.
Alle haben an diesem Tag gewonnen: die beiden Jungs aus
Afrika, meine Tochter und ich und unsere neue Freundin aus Grünwald. Plötzlich
denke ich an unser Gespräch im Holzhausener Kirchlein zurück. Ja, wir haben uns
gegenseitig Einlass gewährt – eine Win-Win-Situation könnte man das nennen.
Die Bundesregierung diskutiert über ein neues
Einwanderungsgesetz. Justizminister Heiko Maas sagte dabei: „Flüchtlinge können
ein Gewinn sein.“
Damit mag vor allem der ökonomische Aspekt gemeint sein. Ich
möchte aber annehmen, dass alle Pullacherinnen und Pullacher, die sich für
unsere Flüchtlinge engagieren, dies auch im Blick auf die zwischenmenschlichen
Begegnungen bestätigen werden.
Was wäre alles gewonnen, würden wir diesen offenen,
freundlichen und motivierten Menschen in unserem Land Einlass gewähren!
Hedwig Rost
Montag, 27. Juli 2015
IM ABSEITS (Deutschland 2015 - 94 Min.)
Vorspann: An einer S-Bahnschranke steht eine lange Autoschlange. Zug fährt durch, Schranke bleibt unten. In einem SUV ein genervtes Telefonat: 'Ich schaff den Termin nicht, wir verschieben alles auf morgen!' Zug in der Gegenrichtung, die Schranke bleibt unten. Der Fahrer sieht auf der Seite ein Fußballfeld - Afrikaner beim Spiel. Aus einer Laune heraus wendet er den SUV, stellt das Fahrzeug auf den P&R-Parkplatz, geht an den Spielfeldrand. Eine S-Bahn fährt durch, dann der Filmtitel und die Namen der Mitwirkenden. Die Schranke bleibt unten.
Film: Der Fahrer steht am Spielfeldrand, raucht nervös und telefoniert, laut und verärgert. Der Zuschauer erfährt: Der Mann ist Spielervermittler und Talent-Scout. Das Spiel, bis jetzt eher schemenhaft, kommt jetzt wirklich ins Bild, und vor allem zwei Spieler fallen ins Auge. Ballstreichler, athletisch und mit intuitivem Zusammenspiel. Ein Tor fällt. Der Scout lässt sein Smartphone sinken und beobachtet zunehmend gebannt die beiden Spieler. Der Gesprächsteilnehmer ist noch dran, wundert sich über die lange Pause, bis der Scout sagt: 'Aber ich glaub, ich hab da was anderes, ich melde mich wieder.'
Spiel ist vorbei, der Scout geht auf die beiden zu, spricht sie an. Sprachengemisch, Übersetzungsfehler, Missverständnisse. Adresse notiert, Einladung zum Probetraining, 'Ich hole euch morgen da ab.'
Nächster Tag: Die Adresse ist eine Turnhalle, Stockbetten, Scout wird beäugt und gleich von jemandem aggressiv angegangen, weil gestern irgendwas mit dem Essen nicht gepasst hat. Hätte seinen SUV vielleicht besser um die Ecke parken sollen. Die beiden Spieler vom Vortag kommen, steigen ein, staunen über den Wagen.
Probetraining - die beiden spielen alle einfach an die Wand. Jahrhunderttalente! Didier Drogba im Doppelpack!
Vorschau: Wie könnte es weitergehen? Leider sind die beiden aus einem sicheren Herkunftsland, also droht Abschiebung. Aber bei solchen Spitzen-Sportlern kann man doch auch mal fünfe gerade sein lassen, und der Scout hat Beziehungen ... Allerdings ziehen die Beziehungen plötzlich nicht richtig mit, das böse Wort 'Wirtschaftsflüchtlinge' fällt, und da könnte doch jeder kommen ... Der Scout beschwört für die beiden eine große Zukunft bis hin zur Nationalmannschaft, na gut: Die Duldung wird verlängert. Es folgen noch ein paar Probleme und Verwicklungen, schöne Spielszenen, etwas Sportglamour, die beiden kommen schließlich groß raus, am Ende sieht man die anderen aus dem Lager mit ihren Rollkoffern zum Bahnhof gehen, die Schranke geht runter.
Ausblick: Ja, beim Sport kann es manchmal etwas schneller gehen mit der Aufenthaltsberechtigung, der Arbeitsgenehmigung und sogar mit der Einbürgerung. Das ist gesellschaftlich akzeptiert, doch vor diesem Hintergrund wird die Unaufrichtigkeit, mit der die Flüchtlings- und Zuwanderungsdebatte häufig geführt wird, besonders deutlich. Das Ganze ist natürlich ein Märchen, aber wer kürzlich die 'Pullacher Flüchtlinge' beim Baierbrunner Sommerlauf erlebt hat (1./2./3./4./6./7./9./10.Platz über 7,5 km), dem kommen auch schon mal solche Filmszenarien in den Sinn.
Abspann: Zwei Tage nach diesem Post wird in verschiedenen Medien über Ousman Manneh berichtet: 'Vom Flüchtlingsheim in Richtung Bundesliga' - da scheint die Wirklichkeit die Fiktion einzuholen.
Film: Der Fahrer steht am Spielfeldrand, raucht nervös und telefoniert, laut und verärgert. Der Zuschauer erfährt: Der Mann ist Spielervermittler und Talent-Scout. Das Spiel, bis jetzt eher schemenhaft, kommt jetzt wirklich ins Bild, und vor allem zwei Spieler fallen ins Auge. Ballstreichler, athletisch und mit intuitivem Zusammenspiel. Ein Tor fällt. Der Scout lässt sein Smartphone sinken und beobachtet zunehmend gebannt die beiden Spieler. Der Gesprächsteilnehmer ist noch dran, wundert sich über die lange Pause, bis der Scout sagt: 'Aber ich glaub, ich hab da was anderes, ich melde mich wieder.'
Spiel ist vorbei, der Scout geht auf die beiden zu, spricht sie an. Sprachengemisch, Übersetzungsfehler, Missverständnisse. Adresse notiert, Einladung zum Probetraining, 'Ich hole euch morgen da ab.'
Nächster Tag: Die Adresse ist eine Turnhalle, Stockbetten, Scout wird beäugt und gleich von jemandem aggressiv angegangen, weil gestern irgendwas mit dem Essen nicht gepasst hat. Hätte seinen SUV vielleicht besser um die Ecke parken sollen. Die beiden Spieler vom Vortag kommen, steigen ein, staunen über den Wagen.
Probetraining - die beiden spielen alle einfach an die Wand. Jahrhunderttalente! Didier Drogba im Doppelpack!
Vorschau: Wie könnte es weitergehen? Leider sind die beiden aus einem sicheren Herkunftsland, also droht Abschiebung. Aber bei solchen Spitzen-Sportlern kann man doch auch mal fünfe gerade sein lassen, und der Scout hat Beziehungen ... Allerdings ziehen die Beziehungen plötzlich nicht richtig mit, das böse Wort 'Wirtschaftsflüchtlinge' fällt, und da könnte doch jeder kommen ... Der Scout beschwört für die beiden eine große Zukunft bis hin zur Nationalmannschaft, na gut: Die Duldung wird verlängert. Es folgen noch ein paar Probleme und Verwicklungen, schöne Spielszenen, etwas Sportglamour, die beiden kommen schließlich groß raus, am Ende sieht man die anderen aus dem Lager mit ihren Rollkoffern zum Bahnhof gehen, die Schranke geht runter.
Ausblick: Ja, beim Sport kann es manchmal etwas schneller gehen mit der Aufenthaltsberechtigung, der Arbeitsgenehmigung und sogar mit der Einbürgerung. Das ist gesellschaftlich akzeptiert, doch vor diesem Hintergrund wird die Unaufrichtigkeit, mit der die Flüchtlings- und Zuwanderungsdebatte häufig geführt wird, besonders deutlich. Das Ganze ist natürlich ein Märchen, aber wer kürzlich die 'Pullacher Flüchtlinge' beim Baierbrunner Sommerlauf erlebt hat (1./2./3./4./6./7./9./10.Platz über 7,5 km), dem kommen auch schon mal solche Filmszenarien in den Sinn.
Abspann: Zwei Tage nach diesem Post wird in verschiedenen Medien über Ousman Manneh berichtet: 'Vom Flüchtlingsheim in Richtung Bundesliga' - da scheint die Wirklichkeit die Fiktion einzuholen.
Freitag, 24. Juli 2015
De lege ferenda - Von kommendem Recht
1. Ein Gedankenspiel
Wäre es vorstellbar, dass Flüchtlinge in dem Bundesland untergebracht werden müssen, wo sie erstmals deutschen Boden betreten? Den bayrischen Aufschrei möchte ich hören! Aber warum soll es dann sachgerecht sein, dass Flüchtlinge in Italien, Spanien und Griechenland bleiben sollen - dort, wo sie erstmals die EU-Grenzen überschritten haben? Das sog. Dublin-Abkommen, das diese Vereinbarung enthält, wird inzwischen ernsthaft in Frage gestellt, nicht zuletzt durch die deutsche Bundesregierung. Eine Neuregelung steht weit oben auf der europäischen Agenda, geographische Privilegien sind nicht mehr lange haltbar. - Ob das irgendwann auch für das Verhältnis zwischen Nord- und Südhalbkugel gilt?
2. Höhere Zäune?
Natürlich wäre es wünschenswert, wenn es keine Fluchtgründe gäbe, gleich welcher Art. Natürlich wäre es sinnvoll, in den Herkunftsländern endlich wirksame Hilfsmaßnahmen einzuleiten. Aber das heißt für die wohlhabenderen Gesellschaften: Teilen, Abgeben, Verzichten. Zu befürchten ist: Dazu sind sie, sind wir erst bereit, wenn so viele Flüchtlinge kommen, dass solche Maßnahmen letztlich billiger sind als die Versorgung von Flüchtlingen hier.
So problematisch es ist, in der Politik mit Naturgesetzen zu argumentieren: Durch eine ungleiche Wohlstandsverteilung wird immer Druck aufgebaut, entsteht Spannung. Geopolitisch übrigens ebenso wie innerhalb einer Gesellsschaft.
Wer jetzt so vehement gegen die Flüchtlingsaufnahme argumentiert, muss sich fragen lassen, was für andere Maßnahmen er sich denn angesichts dieses Drucks vorstellt. Da gibt es eigentlich nur die militärische Option - höhere Zäune, stärkere Abwehr. Entwickeln wir uns zur Gated Society? Und würde sich damit der Druck verringern?
3. Kleine Fische
Jede entwicklungspolitische Strategie (Hilfe im Herkunftsland) will finanziert sein, siehe oben, und greift auch erst morgen oder übermorgen, während hier täglich neue Flüchtlinge eintreffen. Die von den Industrienationen leergefischten Gewässer vor den Küsten Somalias oder Westafrikas erholen sich nicht im Handumdrehen - sollen wir bis dahin jene Regionen mit unseren Fischkonserven ernähren? Warum sind die eigentlich so billig?
4. Entwicklungshilfe
Auf einen vielleicht interessanten Aspekt weist Thomas Bauer, Professor für empirische Wirtschaftsforschung an der RUB, in einem Interview mit der TAZ (19.6.20159 hin:
Die Überweisungen von Migranten an ihre Familien sind für viele Entwicklungsländer von größter Bedeutung. Oft sind diese Zahlungen sogar wichtiger als die klassische Entwicklungshilfe. Es kommt natürlich darauf an, wie dieses Geld genutzt wird, ob das Geld aus Europa investiert wird, oder ob das Geld durch Konsum aufgebraucht wird. In diesem Sinn kann Migration aber auch eine Form der Entwicklungshilfe vor Ort sein.
5. Kommendes Recht?
Quer durch die politischen Lager wird inzwischen diskutiert, ob das Asylrecht wirklich das geeignete Instrumentarium für den Umgang mit Flüchtlingen bietet. Eine Zuwanderung, das ist jetzt immer häufiger zu hören, erscheint im Blick auf Demographie und Fachkräftemangel durchaus wünschenswert, die Bezeichnung 'Wirtschaftsflüchtlinge' kommt einem täglich ein Stück gestriger vor.
'Wir können nicht alle aufnehmen.' - Nein, wahrscheinlich nicht, aber inzwischen geht es in der Debatte längst darum, wen genau 'wir' doch aufnehmen wollen, welche Kriterien dafür gelten sollen und wer deren Einhaltung feststellt und überprüft. Da liegt ein Wandel in der Luft. Ein neues Einwanderungsgesetz. Wäre es nicht wünschenswert, wenn er auch denen zugutekäme, die unter der jetzt noch geltenden Gesetzeslage hierhergekommen sind? Die diesen Wandel letztlich angestoßen haben?
6. Reems Tränen
Doch was vermögen Argumente gegen Gefühle? Jede Seite hält ihre Positionen wahrscheinlich für vernunftbegründet, sucht sich die dafür passenden Argumente und wirft den Gegnern Idealisierung bzw. Dämonisierung vor. Aber auf welche Seite sich jeder stellt - ob jetzt Mitmenschlichkeit, Mitgefühl und Menschenwürde den Ausschlag geben oder die Angst vor Überfremdung, vor ökonomischen Einbußen und gesellschaftlicher Instabiltät - das beruht selten auf rationalen Entscheidungen.
Veränderung geschieht wohl nur durch Begegnung, durch persönliches Kennenlernen, durch neue Erfahrung. Durch Berührung, auch durch die Tränen eines 14 jährigen Mädchens. Es kommt etwas in Bewegung, langsam zunächst und ganz individuell, gesellschaftlich dann und gesetzlich zuletzt, eines hoffentlich nicht mehr allzu fernen Tages.
Wäre es vorstellbar, dass Flüchtlinge in dem Bundesland untergebracht werden müssen, wo sie erstmals deutschen Boden betreten? Den bayrischen Aufschrei möchte ich hören! Aber warum soll es dann sachgerecht sein, dass Flüchtlinge in Italien, Spanien und Griechenland bleiben sollen - dort, wo sie erstmals die EU-Grenzen überschritten haben? Das sog. Dublin-Abkommen, das diese Vereinbarung enthält, wird inzwischen ernsthaft in Frage gestellt, nicht zuletzt durch die deutsche Bundesregierung. Eine Neuregelung steht weit oben auf der europäischen Agenda, geographische Privilegien sind nicht mehr lange haltbar. - Ob das irgendwann auch für das Verhältnis zwischen Nord- und Südhalbkugel gilt?
2. Höhere Zäune?
Natürlich wäre es wünschenswert, wenn es keine Fluchtgründe gäbe, gleich welcher Art. Natürlich wäre es sinnvoll, in den Herkunftsländern endlich wirksame Hilfsmaßnahmen einzuleiten. Aber das heißt für die wohlhabenderen Gesellschaften: Teilen, Abgeben, Verzichten. Zu befürchten ist: Dazu sind sie, sind wir erst bereit, wenn so viele Flüchtlinge kommen, dass solche Maßnahmen letztlich billiger sind als die Versorgung von Flüchtlingen hier.
So problematisch es ist, in der Politik mit Naturgesetzen zu argumentieren: Durch eine ungleiche Wohlstandsverteilung wird immer Druck aufgebaut, entsteht Spannung. Geopolitisch übrigens ebenso wie innerhalb einer Gesellsschaft.
Wer jetzt so vehement gegen die Flüchtlingsaufnahme argumentiert, muss sich fragen lassen, was für andere Maßnahmen er sich denn angesichts dieses Drucks vorstellt. Da gibt es eigentlich nur die militärische Option - höhere Zäune, stärkere Abwehr. Entwickeln wir uns zur Gated Society? Und würde sich damit der Druck verringern?
3. Kleine Fische
Jede entwicklungspolitische Strategie (Hilfe im Herkunftsland) will finanziert sein, siehe oben, und greift auch erst morgen oder übermorgen, während hier täglich neue Flüchtlinge eintreffen. Die von den Industrienationen leergefischten Gewässer vor den Küsten Somalias oder Westafrikas erholen sich nicht im Handumdrehen - sollen wir bis dahin jene Regionen mit unseren Fischkonserven ernähren? Warum sind die eigentlich so billig?
4. Entwicklungshilfe
Auf einen vielleicht interessanten Aspekt weist Thomas Bauer, Professor für empirische Wirtschaftsforschung an der RUB, in einem Interview mit der TAZ (19.6.20159 hin:
Die Überweisungen von Migranten an ihre Familien sind für viele Entwicklungsländer von größter Bedeutung. Oft sind diese Zahlungen sogar wichtiger als die klassische Entwicklungshilfe. Es kommt natürlich darauf an, wie dieses Geld genutzt wird, ob das Geld aus Europa investiert wird, oder ob das Geld durch Konsum aufgebraucht wird. In diesem Sinn kann Migration aber auch eine Form der Entwicklungshilfe vor Ort sein.
5. Kommendes Recht?
Quer durch die politischen Lager wird inzwischen diskutiert, ob das Asylrecht wirklich das geeignete Instrumentarium für den Umgang mit Flüchtlingen bietet. Eine Zuwanderung, das ist jetzt immer häufiger zu hören, erscheint im Blick auf Demographie und Fachkräftemangel durchaus wünschenswert, die Bezeichnung 'Wirtschaftsflüchtlinge' kommt einem täglich ein Stück gestriger vor.
'Wir können nicht alle aufnehmen.' - Nein, wahrscheinlich nicht, aber inzwischen geht es in der Debatte längst darum, wen genau 'wir' doch aufnehmen wollen, welche Kriterien dafür gelten sollen und wer deren Einhaltung feststellt und überprüft. Da liegt ein Wandel in der Luft. Ein neues Einwanderungsgesetz. Wäre es nicht wünschenswert, wenn er auch denen zugutekäme, die unter der jetzt noch geltenden Gesetzeslage hierhergekommen sind? Die diesen Wandel letztlich angestoßen haben?
6. Reems Tränen
Doch was vermögen Argumente gegen Gefühle? Jede Seite hält ihre Positionen wahrscheinlich für vernunftbegründet, sucht sich die dafür passenden Argumente und wirft den Gegnern Idealisierung bzw. Dämonisierung vor. Aber auf welche Seite sich jeder stellt - ob jetzt Mitmenschlichkeit, Mitgefühl und Menschenwürde den Ausschlag geben oder die Angst vor Überfremdung, vor ökonomischen Einbußen und gesellschaftlicher Instabiltät - das beruht selten auf rationalen Entscheidungen.
Veränderung geschieht wohl nur durch Begegnung, durch persönliches Kennenlernen, durch neue Erfahrung. Durch Berührung, auch durch die Tränen eines 14 jährigen Mädchens. Es kommt etwas in Bewegung, langsam zunächst und ganz individuell, gesellschaftlich dann und gesetzlich zuletzt, eines hoffentlich nicht mehr allzu fernen Tages.
Montag, 20. Juli 2015
NICHT IM TRAUM
Beim Sommerkonzert der Pullacher Musikschule hat eine Gruppe junger Flüchtlinge aus dem Senegal ein Lied, eine Art Sprechgesang vorgetragen, in dem ihre aktuellen Erfahrungen zum Ausdruck kommen. Geschrieben in Wolof von Alagie Jammeh - sei hier eine Nachdichtung versucht:
Nicht im Traum, nicht im Traum
wollen wir zurück nach Libyen,
nicht nur wir – so viele andere auch,
niemals, niemals!
So viele Länder im Krieg,
So viele Länder im Krieg,
so viele Länder in Not,
so viele auf der Flucht.
Libyen, Syrien –
Wir beten für diese Länder,
wir beten für Frieden.
Darum dieses Lied.
Wir wollen euch sagen,
was hinter uns liegt.
Auch wenn wir hier sicher sind –
Was hinter uns liegt,
lässt uns nicht los.
Ihr Kinder aus Pullach,
ihr sollt wissen,
wie viel eure Eltern hier tun
für die Würde der Menschen,
für Achtung und Respekt.
So viele gute Leute –
Wir stehen zusammen!
Das alles zu singen fällt uns nicht leicht.
Doch wir tun was wir können,
um euch eines zu sagen,
immer wieder und wieder:
Montag, 13. Juli 2015
Welt-Wirtschaftsflüchtlinge
Es ist die heißeste Zeit des Tages, früher Nachmittag
vor der Turnhalle der Hauptschule. Ich sitze mit 7 jungen Männern auf einer
Bierbank. Jeder hat Stift und Papier dabei: Deutsch-Unterricht. Fast alle aus
„meiner“ Gruppe sind gekommen, wie jedes Mal. Da ich auch Französisch spreche,
hat es sich so ergeben, dass ich „die Franzosen“ unterrichte. Sie kommen aus
Mali und dem Senegal. Es gibt ein Lehrbuch für Asylbewerber, aber ich habe mich
mehr und mehr davon entfernt. Denn es ist für mich - wie auch für meine Schüler
- viel interessanter, über das Gespräch und das, was uns bewegt, die Tür zur
deutschen Sprache zu öffnen.
Ich staune, wie aufnahmefähig die meisten sind. Lauter
wache Augen schauen mich an. Es gibt immer viele Fragen, und daraus spinne ich
den Faden für den Unterricht. Alle schreiben eifrig mit.
Dieses Mal habe ich ein Arbeitsblatt vorbereitet mit
Fragewörtern. Denn ich denke, es schadet nicht, wenn sie auf Fragen bei ihrer
Anhörung ein wenig auf Deutsch antworten können. „Warum seid ihr nach
Deutschland gekommen?“
Mit einem Mal verdunkeln sich die Mienen...
Neue Farben
Pullach hat neue Farben bekommen. Man findet sie
überall: auf Parkbänken, auf der Straße, auf dem Fußballplatz, an der Isar und
zuletzt auch auf der Sonnwendfeier.
100
Flüchtlinge aus 13 Nationen leben seit Pfingsten im Herzen unserer gepflegten,
wohl situierten Gemeinde.
Ein ungewohntes Bild ist das.
Gewöhnungsbedürftig.
Meinen Mann und mich trieb vor etwa 3 Wochen die
Neugierde: Was sind das für Menschen? Können wir uns dorthin wagen? Halten wir
so viel Fremdheit aus?
Wir haben uns getraut – und ...
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