Ein junger Mann macht das Wenige, was er hat, zu Geld. Damit und mit der Hilfe seiner Familie kann er Schlepper bezahlen, die ihm die Reise in ein reiches Land und in eine bessere Zukunft versprechen. Das Schiff, auf dem der junge Mann die Überfahrt wagt, ist voll mit Migranten und alles andere als seetüchtig: Es scheitert nach einer Kollision im Sturm. Unser Flüchtling wird als einziger Überlebender der Katastrophe an einer europäischen Küste angetrieben. Kinder werfen mit Steinen nach ihm, Hunde werden auf ihn gehetzt, er wird zuletzt wie ein wildes Tier eingefangen und in einen Schweinekoben gesperrt. Soll das nun das versprochene neue Land sein?
Mit der Zeit lernt er etwas von der fremden Sprache und fasst Fuß in dieser Gesellschaft. Doch er bleibt der Fremde, allein schon aufgrund seiner dunkleren Hautfarbe, seines Akzents und seines lebhaften Temperaments. Umgekehrt hört auch er nicht auf, sich zu wundern - über die fremden Sitten, über die Verschlossenheit und Herzenskälte seiner Umwelt. Immerhin findet er ein Mädchen (das im Dorf als halbe Närrin gilt), heiratet es, und sie bekommen ein Kind. Doch er bleibt der Fremde, auch für seine Frau.
Als er an einer Lungenentzündung erkrankt und im Fieber in seine Muttersprache zurückverfällt, bekommt sie panische Angst um sich und den kleinen Sohn und flieht vor ihrem todkranken Mann.
Eine kurze und erschütternde Erzählung aus dem Jahre 1901: Amy Foster - von Josef Conrad. Weitgehend unbekannt, aber von offensichtlicher Aktualität: Armut, Schlepper, die riskante Schiffsreise, ein Wirtschaftsflüchtling, in diesem Fall aus Osteuropa - und wie nimmt ihn 'unsere' Gesellschaft auf? Wie nimmt er 'unsere' Gesellschaft wahr?
Joseph Conrad war Pole, aufgewachsen in der Verbannung nach einem der gescheiterten Aufstände gegen das zarisitische Russland. Mit 18 Jahren gelangt er nach England - in das Land, wo der tragische Held seiner Geschichte scheitert. Hier beginnt später sein Weltruhm als Erzähler; 'Heart of Darkness' etwa (worauf der Film 'Apokalpse now' basiert) ist eine seiner bekanntestes Erzählungen. 'Amy Foster' steht im Schatten seiner anderen Werke, die meist in exotischeren Regionen spielen oder eben auf hoher See.Und trotzdem, trotzdem wird hier auf wenigen Seiten seine große Meisterschaft spürbar, sein Einfühlungsvermögen und nicht zuletzt etwas von seiner eigenen Geschichte. Einer Geschichte, die sich seither millionenfach wieder und wieder ereignet und erzählt hat.
Zwischen den Zeiten. Zwischen den Zeilen. Zwischen den Konfessionen, zwischen den Stühlen und den Lagern. Zwischen Einheimischen und Flüchtlingen. Unterwegs zwischen Gott und der Welt. Zwischen Himmel und Erde, zwischen Isartal, S-Bahnschranken und der B 11. Die Nähe und in die Ferne im Blick. Eine Einladung zum Mitlesen, Mitdenken - und zum Mitschreiben: Gäste sind herzlich willkommen!
Donnerstag, 27. August 2015
Montag, 24. August 2015
Eritrea - Afrikas Nordkorea?
Ein Gastbeitrag von Anke Schlee
Einige der
Flüchtlinge, die derzeit in der Turnhalle der Pullacher Mittelschule
untergebracht sind, kommen aus Eritrea. Eigentlich wollte ich einen von ihnen
interviewen, um auch hier einen Menschen und sein Schicksal zu zeigen, denn bei
der Masse an Flüchtlingen verschwindet das Menschliche viel zu oft hinter
Zahlen.
Doch ich habe keinen
Eritreer gefunden, der bereit wäre, mir seine Geschichte zu erzählen. Der Grund
dafür ist die nackte Angst. Angst vor der Regierung im eigenen Land, Angst vor
dem eigenen Land selbst in tausenden Kilometern Entfernung hier mitten in
Pullach. Die Flüchtlinge fürchten um ihr Leben, so sie denn nach Eritrea zurück
müssten und heraus käme, dass sie schlecht über ihr Land sprachen, das wurde
mir gesagt.
Die Eritrea-Untersuchungskommission der UNO hat Anfang Juni festgestellt, dass
massive Verletzungen der Menschenrechte dort "den Tatbestand von
Verbrechen gegen die Menschlichkeit erfüllen könnten“. Von willkürlichen
Hinrichtungen und systematischer Folter ist die Rede. Medien zitieren aus dem
Bericht, dass die UN-Ermittler an alle Staaten appellieren, eritreische
Asylsuchende nicht zur Rückkehr zu zwingen. Das Regime bestrafe „jeden, der
versucht, das Land ohne Genehmigung zu verlassen“.
Was für Menschen leben
da gerade mit uns hier im idyllischen Isartal? Was haben sie erlebt, was haben
sie für Perspektiven? Ich frage mich, was ich tun kann und besinne mich auf die
kleinen Schritte, die summiert auch etwas ausmachen. Ein Händedruck, ein
Gespräch, ein bisschen Deutsch-Unterricht und ein bisschen „Willkommen“, das
kann ich tun und das tue ich gerne. So wie viele Mitstreiter im Helferkreis
Flüchtlinge & Integration Pullach, die sich engagieren. Geben ist oft
schöner als Nehmen, eine gute Erfahrung bei all den Problemen in diesem
Zusammenhang.
Freitag, 7. August 2015
Ein Sommer geht zu Ende
Wenn die Schatten länger werden und die Pullacher Familien
aus dem Urlaub zurückkehren, wird die Turnhalle der Mittelschule wieder für den
Sport zur Verfügung stehen. Viele Anwohner werden aufatmen, weil die Lärmbelästigung vorbei ist.
Im „Wäldchen“ vor dem Rathaus wird es wieder freie Sitzplätze geben, ebenso auf
dem Mäuerchen an der Musikschule.
Alles wird wieder so sein wie
vorher. Die Gemeinde hat ihre Schuldigkeit, was die Aufnahme von Flüchtlingen
anbetrifft, vorerst getan.
Und doch: Fehlt da nicht etwas?
Nicht nur Norma und Lidl werden Umsatzeinbußen verspüren. Da fehlt eine
besondere Lebendigkeit in Pullach. Da fehlt diese große Herausforderung an
unsere Menschlichkeit. Es fehlt auch ein Stück Kultur. Wer hat nicht die
Trommelgruppe aus Westafrika erlebt – beim Franzosenfest, beim Sommerfest der
Mittelschule, beim Sommerkonzert der Musikschule oder auch einfach an der Isar?
Oder den Triumph „unserer“ Flüchtlinge beim Baierbrunner Sommerlauf? Waren wir
nicht auch ein wenig stolz, in unserem Pullach solche „Mannsbilder“ zu haben?
Afrikanische Musik und
Sportlichkeit – Zeichen purer Lebensfreude?
Nein, dieser Schein trügt. Die
meisten unserer Flüchtlinge sind schwer traumatisiert. Der Sport lenkt sie ab
von ihren schmerzhaften Erinnerungen. Das gemeinsame Trommeln und Singen ist
ein Rettungsanker, der ihnen ein wenig hilft, zu vergessen und ihre innere Not
schöpferisch in Musik umzuwandeln.
Für das Konzert der Musikschule im
Bürgerhaus haben sie ein Lied geschrieben, dessen Text weiter unten (Blogpost 'NICHT IM TRAUM' vom 20.7.15) wiedergegeben ist.
Liebe Pullacherinnen und Pullacher!
Für viele dieser sehr jungen Männer ist der Abschied aus unserer Gemeinde und
der Transfer an einen anderen Ort fatal. Bindungen sind hier gewachsen, die
ihnen ein wenig Halt geben konnten und die nun fast lebensnotwendig geworden
sind. Über die Entfernung werden sie sich kaum aufrechterhalten lassen.
Deshalb möchte ich Sie
eindringlich bitten: Wenn Sie eine Wohnung oder ein Haus zu vermieten haben,
stellen Sie es für einige dieser jungen Flüchtlinge zur Verfügung! Vielleicht
steht Omas Häuschen leer und Sie wollen es noch nicht gleich verkaufen. Oder
Sie haben eine ungenutzte Einliegerwohnung.
Das Landratsamt mietet auch
befristet Objekte an. Es gibt ausreichend helfende Hände im Helferkreis, die
die Verantwortung übernehmen für Gartenpflege, Instandhaltung und nicht zuletzt
für die Einhaltung der deutschen Regeln des Zusammenlebens. Dass das gelingen
könnte, dafür lege ich meine Hand ins Feuer.
Der Sommer neigt sich dem Ende zu.
Die Schatten werden länger. Die leere Turnhalle in der Kagerbauerstraße wird
für viele einen sehr langen Schatten werfen.
Hedwig Rost
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