Freitag, 24. Juli 2015

De lege ferenda - Von kommendem Recht

1. Ein Gedankenspiel
Wäre es vorstellbar, dass Flüchtlinge in dem Bundesland untergebracht werden müssen, wo sie erstmals deutschen Boden betreten? Den bayrischen Aufschrei möchte ich hören! Aber warum soll es dann sachgerecht sein, dass Flüchtlinge in Italien, Spanien und Griechenland bleiben sollen - dort, wo sie erstmals die EU-Grenzen überschritten haben? Das sog. Dublin-Abkommen, das diese Vereinbarung enthält, wird inzwischen ernsthaft in Frage gestellt, nicht zuletzt durch die deutsche Bundesregierung. Eine Neuregelung steht weit oben auf der europäischen Agenda, geographische Privilegien sind nicht mehr lange haltbar. - Ob das irgendwann auch für das Verhältnis zwischen Nord- und Südhalbkugel gilt? 

2. Höhere Zäune?
Natürlich wäre es wünschenswert, wenn es keine Fluchtgründe gäbe, gleich welcher Art. Natürlich wäre es sinnvoll, in den Herkunftsländern endlich wirksame Hilfsmaßnahmen einzuleiten. Aber das heißt für die wohlhabenderen Gesellschaften: Teilen, Abgeben, Verzichten. Zu befürchten ist: Dazu sind sie, sind wir erst bereit, wenn so viele Flüchtlinge kommen, dass solche Maßnahmen letztlich billiger sind als die Versorgung von Flüchtlingen hier.
So problematisch es ist, in der Politik mit Naturgesetzen zu argumentieren: Durch eine ungleiche Wohlstandsverteilung wird immer Druck aufgebaut, entsteht Spannung. Geopolitisch übrigens ebenso wie innerhalb einer Gesellsschaft.
Wer jetzt so vehement gegen die Flüchtlingsaufnahme argumentiert, muss sich fragen lassen, was für andere Maßnahmen er sich denn angesichts dieses Drucks vorstellt. Da gibt es eigentlich nur die militärische Option - höhere Zäune, stärkere Abwehr. Entwickeln wir uns zur Gated Society? Und würde sich damit der Druck verringern?

3. Kleine Fische
Jede entwicklungspolitische Strategie (Hilfe im Herkunftsland) will finanziert sein, siehe oben, und greift auch erst morgen oder übermorgen, während hier täglich neue Flüchtlinge eintreffen. Die von den Industrienationen leergefischten Gewässer vor den Küsten Somalias oder Westafrikas erholen sich nicht im Handumdrehen - sollen wir bis dahin jene Regionen mit unseren Fischkonserven ernähren? Warum sind die eigentlich so billig?

4. Entwicklungshilfe
Auf einen vielleicht interessanten Aspekt weist Thomas Bauer, Professor für empirische Wirtschaftsforschung an der RUB, in einem Interview mit der TAZ (19.6.20159 hin:  
Die Überweisungen von Migranten an ihre Familien sind für viele Entwicklungsländer von größter Bedeutung. Oft sind diese Zahlungen sogar wichtiger als die klassische Entwicklungshilfe. Es kommt natürlich darauf an, wie dieses Geld genutzt wird, ob das Geld aus Europa investiert wird, oder ob das Geld durch Konsum aufgebraucht wird. In diesem Sinn kann Migration aber auch eine Form der Entwicklungshilfe vor Ort sein.

5. Kommendes Recht? 
Quer durch die politischen Lager wird inzwischen diskutiert, ob das Asylrecht wirklich das geeignete Instrumentarium für den Umgang mit Flüchtlingen bietet. Eine Zuwanderung, das ist jetzt immer häufiger zu hören, erscheint im Blick auf  Demographie und Fachkräftemangel durchaus wünschenswert, die Bezeichnung 'Wirtschaftsflüchtlinge' kommt einem täglich ein Stück gestriger vor. 
'Wir können nicht alle aufnehmen.' - Nein, wahrscheinlich nicht, aber inzwischen geht es in der Debatte längst darum, wen genau 'wir' doch aufnehmen wollen, welche Kriterien dafür gelten sollen und wer deren Einhaltung feststellt und überprüft. Da liegt ein Wandel in der Luft. Ein neues Einwanderungsgesetz. Wäre es nicht wünschenswert, wenn er auch denen zugutekäme, die unter der jetzt noch geltenden Gesetzeslage hierhergekommen sind? Die diesen Wandel letztlich angestoßen haben?

6. Reems Tränen
Doch was vermögen Argumente gegen Gefühle? Jede Seite hält ihre Positionen wahrscheinlich für vernunftbegründet, sucht sich die dafür passenden Argumente und wirft den Gegnern Idealisierung bzw. Dämonisierung vor. Aber auf welche Seite sich jeder stellt - ob jetzt Mitmenschlichkeit, Mitgefühl und Menschenwürde den Ausschlag geben oder die Angst vor Überfremdung, vor ökonomischen Einbußen und gesellschaftlicher Instabiltät - das beruht selten auf rationalen Entscheidungen.
Veränderung geschieht wohl nur durch Begegnung, durch persönliches Kennenlernen, durch neue Erfahrung. Durch Berührung, auch durch die Tränen eines 14 jährigen Mädchens. Es kommt etwas in Bewegung, langsam zunächst und ganz individuell, gesellschaftlich dann und gesetzlich zuletzt, eines hoffentlich nicht mehr allzu fernen Tages.

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