Samstag, 16. Januar 2016

Leb wohl, Hamid!

Du wirst dich vielleicht wundern, warum hier ein falscher Name steht und warum Dein Gesicht verpixelt ist – aber das ist bei uns so üblich. Vielleicht ist Dein Deutsch auch schon verblasst, wenn Du diesen Abschiedsgruß zu Gesicht bekommt. Aber ob das jemals der Fall sein wird? Ob Du jemals zurückschauen wirst auf Deiner weiteren Flucht?
Wir waren zusammen auf dem Berg, am See, in unserem Garten, am Küchentisch: Kaffee mit fünf Teelöffeln Zucker! Wir waren zusammen im Landratsamt, oft genug, und wir haben es geschafft, Dir eine Arbeit zu besorgen. Mit Nachrangigkeitsprüfung, Kranken- und Sozialversicherung, Steuernummer, Konto-Eröffnung und allem. Bei einem Arbeitgeber, der Deinen Deutschkurs bezahlt und Dir eine Ausbildung angeboten hat. Alle anderen haben Dich beneidet, wir, zugegeben, waren stolz auf das, was wir da nach vielen Mühen und langen Wegen erreicht hatten. Alles gut – bis aufs Wohnen: Das war immer noch die Traglufthalle mit 300 anderen Flüchtlingen auf engem Raum. Dein Arbeitgeber hat Dir aber auch ein Zimmer angeboten. Das hast du abgelehnt, wir haben nie verstanden warum.
Nun hast Du alles hingeworfen. Es gab – nach drei guten Monaten – plötzlich Probleme in der Arbeit. Spät haben wir davon erfahren, wir sind aus allen Wolken, in denen wir zuvor schwebten, gefallen. Wir haben mit Dir geredet und geredet, haben versucht, dort Gespräche zu vermitteln, es gab Angebote von Deinem Chef, „noch eine Chance". – Nichts. Du wolltest nicht, nichts ändern, nichts umsetzen von der Kritik, die da gekommen war. Und mehr noch: Du willst ganz fort aus Deutschland, auf der Stelle. „Es ist entschieden.“
Wir sind ratlos. Traurig. Wütend. Die Arbeit ist weg, und so schnell wird da kein Flüchtling mehr eingestellt. Ausbildung, Einkommen, Krankenversicherung, sehr viel Unterstützung – alles in der Tonne. Auch die anderen Flüchtlinge, immer noch ohne Arbeit, schütteln den Kopf.
Ob Dich der Chef an irgendjemanden erinnert hat? An einen der Folterer aus dem libyschen Gefängnis, an den Fahrer durch die Wüste, die Aufseher in den Goldminen, wo du als Kind arbeiten musstest? Das wäre immerhin eine Erklärung. Wir werden es nie erfahren, und es spielt jetzt auch keine Rolle mehr.
Du ziehst weiter, wir waren auch nur eine Station auf Deinem Weg. Fraglich, ob es Dir in Frankreich besser gehen wird. Flüchtling – das ist vielleicht nicht nur ein Status, sondern auch ein Typus, ausgebildet in einem Leben, wie wir es uns einfach nicht vorstellen können. Der vielleicht Bindung und Einbindung als gefährlich empfindet? Wir jedenfalls werden Dich nicht so schnell vergessen, einen Sohn für ein halbes Jahr. 'Un café avec beaucoup de sucre' - aber mit einem sehr bitteren Nachgeschmack. Leb wohl!

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